Sportjournalismus
"Vieles wird vom Boulevard geprägt"
VON WOLFGANG HETTFLEISCH
Es ist nicht immer vergnügungssteuerpflichtig, Sportjournalist zu sein. Diese Erfahrung machten die Berichterstatter rund um den FC Schalke 04, dessen Spieler die Medien seit Anfang November boykottieren. Diese Erfahrung machten am Montagabend Reporter, Fotografen und Kameraleute, die sich zur Jahreshauptversammlung des Hamburger Sportvereins im Congress Centrum der Elbmetropole eingefunden hatten - und per Abstimmung aus dem Saal geworfen wurden. Grobe Schmähungen gab's gratis.
Diversen Leserbriefen lässt sich entnehmen, dass die Strafaktionen von Gelsenkirchen und Hamburg auch den Beifall von Unbeteiligten finden. Tenor: Gebt's dem Medienpack! Die Beliebtheit deutscher Sportjournalisten konkurriert in etwa mit jener von Gerichtsvollziehern und Kleinkriminellen. Und daran, sagt Fernsehmoderator Rudi Brückner, sei die Zunft selbst alles andere als schuldlos, denn: "Das Publikum hat ein Gespür für Ehrlichkeit."
Leser, Hörer und Zuschauer wüssten sehr viel besser als vielfach unterstellt, wo die Information endet und die Schaumschlägerei beginnt, sagt der ehemalige Gastgeber des DSF-Stammtischs Doppelpass, der zuletzt die Talkrunde Dropkick auf Eurosport moderierte. Weil aber Journalisten etwa in der Fußball-Berichterstattung zunehmend dem Reiz erlägen, "im Machtspiel mitmischen zu wollen, und weil sie die Spieler dafür als Vehikel benutzen", trügen sie "erhebliche Mitschuld an der Art und Weise, wie miteinander umgegangen wird".
Auch der Inhalt der Berichterstattung habe sich im vergangenen Jahrzehnt stark verändert, konstatiert Schalke-Pressesprecher Gerd Voss: "Vieles ist holzschnittartiger geworden, und es gibt eine erheblich höhere Grundaggressivität." Voss, seit vielen Jahren im Geschäft, nennt einen der Gründe. "Nehmen wir den Printjournalisten. Der hat nicht mehr den Stellenwert bei seiner Zeitung, den er vor zwanzig Jahren hatte. Will er reisen, wird nicht mehr alles so leicht genehmigt. Da nimmt er dann gerade noch die offiziellen Termine wahr, und das war's dann." Die Folge laut Voss: "Er ist nicht mehr so nah dran, es kommt zu einer Entfremdung. Von den Spielern werden die meisten Journalisten dann nur noch als diffuse Masse wahrgenommen." Auch Brückner erinnert sich an bessere Zeiten: "Als ich in den Achtzigern angefangen habe, da konntest du mit einem Spieler noch einfach so in die Kneipe gehen. Das hat in dem Moment aufgehört, als dieser Paparazzi-Journalismus aufkam." TV-Kommentator Erich Laaser, Präsident des Verbands Deutscher Sportjournalisten (VDS), hat einen ähnlichen Eindruck: "Inzwischen wird, auch im Fernsehen, viel vom Boulevard geprägt. Und die Menschen nehmen das durchaus wahr."
Laaser ist überzeugt, dass der zunehmend bevorzugte Mix aus Klatsch und Tratsch beim Publikum nicht mal sonderlich gut ankommt: "Oft stehen die Menschen dem recht hilflos gegenüber und fühlen sich regelrecht bedrängt." Will meinen: Etliches von dem, was Sportjournalisten so von sich geben, will die Mehrzahl der Sportfans vielleicht gar nicht wissen. Wie andere aus der Branche glaubt auch Laaser, dass damit ein massiver Verlust an Glaubwürdigkeit einher geht: "Viele trauen den Medien nicht mehr."
Zugleich nervt Laaser "diese Pauschalisierung", die etwa dazu führte, dass die Schalker Spieler in ihrer Empörung über einige Berichterstatter gleich alle in Sippenhaft nahmen. Glaubt man Schalke-Sprecher Voss, liegt dem Verteidigungsmechanismus der Profis auch die Erfahrung zugrunde, dass die Journalisten bei ihrer Arbeit mit vorgefassten Deutungsmustern agieren.
Voss nennt ein Beispiel. Als Gustavo Varela ein Tor erzielte und daraufhin den auf die Ersatzbank beorderten Torhüter Frank Rost umarmte, sei das von den Medien unisono als gezielte Spitze gegen Trainer Mirko Slomka ausgelegt worden. "Dabei hat sich Gustavo, der mit Frank lange ein Zimmer geteilt hat, dabei nichts Besonderes gedacht und später gesagt: Hätte er gewusst, was daraus gemacht wird, hätte er es bleiben lassen."
Als Journalist lerne man schließlich auch, Dinge zu bewerten, hält Bild-Sportchef Matthias Brügelmann dem entgegen. Es dürfe ja in der Berichterstattung nicht darum gehen, "etwas auszublenden". Dass der berufsbedingte Hang zur gelegentlich gewagten Interpretation Drähte dauerhaft zerstören und damit die eigene Arbeit untergraben könnte, glaubt Brügelmann nicht: "Es gibt nach wie vor ein Vertrauensverhältnis zwischen Sportlern und Journalisten - auch zwischen Sportlern und Boulevard-Journalisten."
Das Schlimme sei, "dass viele Berichterstatter ihre Informationen beziehen, indem sie morgens Bild lesen", sagt Brückner. Auch Voss glaubt an einen solchen Lemminge-Effekt. Die Boulevardzeitung, die nah dran sei, messe dem jeweiligen Klub das Fieber, "und die anderen nehmen die Temperatur gerne auf in der Hoffnung, damit zumindest nicht ganz falsch zu liegen".
Das nähre etwa bei Zeitungslesern einen fatalen Eindruck: "Die haben dann das Gefühl, es steht ja doch überall dasselbe drin - was so natürlich nicht stimmt."Bild-Sportchef Matthias Brügelmann hat mit der Vorreiterfunktion seines Blattes verständlicherweise kein Problem: "Es ehrt uns natürlich, wenn die Kollegen sagen, dass wir meinungsbildend sind."
Problematisch wird es möglicherweise dann, wenn der Meinungsführer auch zunehmend stilbildend wirkt. Man dürfe nicht "moralisch straffällig werden, indem man etwa ein Talent zum Gott hochjubelt und zwei Wochen später über ihn sagt: Der ist das Letzte", fordert Brückner. Er empfiehlt, den Mainstream auch mal zu ignorieren und "lieber das eigene Hirn einzuschalten". Erich Laaser plädiert für eine Rückbesinnung aufs Wesentliche: "Saubere Recherche, wahrheitsgemäße Berichterstattung."
Ob das reichen wird, das Imageproblem zu beheben? Gut möglich, dass auch die ständige Nähe zu Sportstars und Scheinwerferlicht, dass der Promi-Status von Leuten wie Beckmann, Kerner oder Lierhaus zu einer beruflichen Deformation geführt hat, die beim breiten Publikum als Arroganz ankommt. "Wenn man dann der Journaille insgesamt mal einen mitgeben kann", ahnt Laaser, "freut sich auch Volkes Seele."
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