Aus der "NZZ":
Kein Fussballer für die grosse Welt
Blaise N'Kufo ist im Schweizer Nationalteam auch in der Stürmernot nicht mehr erwünscht. Nach langer Suche scheint der Unverstandene in den Niederlanden sein Glück gefunden zu haben. Von Peter B. Birrer
Es war ein unheimlicher Absturz. Der Afrikaner Blaise N'Kufo fiel 1998 in Zürich in ein Loch, das für einen Fussballer tiefer fast nicht mehr sein kann. Für Lausanne-Sports hatte der Stürmer in 34 Spielen 18 Tore erzielt und das Interesse des Grasshopper-Clubs geweckt, der einen Nachfolger für den Torschützen Viorel Moldovan suchte. Der Bankier Jean-François Kurz, Präsident in Lausanne, machte «das einzige gute Fussballgeschäft meiner Amtszeit». Der GC überwies drei Millionen Franken, wovon 20 Prozent oder 600 000 Franken der vormalige N'Kufo-Besitzer Yverdon erhielt. In Lausanne verdiente der Stürmer 6500 Franken - im GC das Dreifache.
Doch Blaise N'Kufo, damals 23 Jahre alt, stürzte ab. Er zerbrach am hohen Preis und an den noch höheren Erwartungen; er war gemäss eigenen Angaben «naiv» und wurde von seinem Agenten Abdel Zaef über den Tisch gezogen, der Transfergeld abgezwackt haben soll; er verlor sich in einer neuen Stadt und einer fremden Sprache; er war erstmals weg vom Waadtland und seinem Vater. Er hatte im GC den Sturmpartner Türkyilmaz mehr gegen als neben sich; er brauchte Zeit, die er nicht bekam, weil der GC zu dieser Zeit «Real Madrid und Barcelona zusammen» überholen wollte (Ex-GC-Trainer Rolf Fringer); er überschätzte sich, brachte kein Bein vors andere. Den Tiefpunkt erreichte er anlässlich eines Europacup-Spiels gegen Anderlecht im Hardturm. N'Kufo verstolperte Torchancen und wurde vom Publikum so ausgepfiffen, dass Fringer zum verbalen, öffentlichen Befreiungsschlag ausholte, weil er sich «keinen Spieler vom Publikum zur Sau machen» lasse.
Die Episode in Zürich fügt sich ein in die rastlose Biografie eines Fussballers, der im Jahresrhythmus den Klub wechselte - seit 1993 und dem ersten Gastspiel in Lausanne nicht weniger als zwölfmal, bis er im Sommer 2003 in Enschede bei Twente seine vorläufig letzte Station erreichte. «Auch ich trage für die Klubwechsel die Verantwortung», gestand N'Kufo Ende August in Enschede ein, nachdem ihm im Meisterschaftsspiel gegen Heerenveen (4:1) im dritten Spiel das zweite Tor geglückt war. Enschede, die kleine Stadt im Osten der Niederlande, wenige Kilometer von Deutschland entfernt, scheint für den oft Unverstandenen ein Glücksfall zu sein. In der letzten Saison traf er für die Niederländer in 28 Spielen 14-mal. Deswegen erhielt er einen Dreijahresvertrag, deshalb wurde er in Enschede zum bestbezahlten Fussballer.
Zweimal gescheitert
Der inzwischen 29-jährige N'Kufo spielt gegen Heerenveen gut. Der schlaksige, grosse und robuste Afrikaner ist physisch präsent, vermag den Ball zu halten, wird oft angespielt, läuft noch immer zu oft ins Offside und unterlegt mit kraftvollen Gesten und lauten Aufforderungen, dass er der Chef auf dem Platz sein will. Das Publikum huldigt ihm, als er ausgewechselt wird. Später sagt der junge Twente-Trainer Rini Coolen: «N'Kufo ist einer der besten Stürmer in den Niederlanden.»
Das Urteil erstaunt, weil der eingebürgerte Schweizer stets von der Treppe zum Fussball-Himmel stürzte, wenn es ernster wurde. Zum Beispiel: Zürich 1998. Oder ebenso krass: Hannover 2002. Die Deutschen waren mit Zauber-Fussball und offensiven Rekordwerten soeben in die 1. Bundesliga aufgestiegen und suchten Realersatz für den nach Leverkusen transferierten Jan Simak. Weil N'Kufo in Mainz und der 2. Bundesliga Aufsehen erregt hatte (28 Spiele, 14 Tore), fiel die Wahl des Hannover-Trainers Ralf Rangnick auf den Schweizer. Wieder war die Ablösesumme hoch, wieder wechselten mehr als zwei Millionen Franken den Besitzer. Und wieder scheiterte N'Kufo. Die Hannoveraner kamen in Teufels Küche, hatten nach vier Spielen null Punkte und bald das Publikum sowie die aggressive Presse gegen sich. Hannover ist nicht Mainz, N'Kufo traf das Tor nicht (mehr). Der Klub reagierte auf die Misere mit der Verpflichtung Fredi Bobics, worauf N'Kufo nur noch zu Kurzeinsätzen kam. Das war der Anfang des neuerlichen Niedergangs.
N'Kufo verweigerte sich in der Konkurrenzsituation demonstrativ, brachte nicht nur die Mannschaft gegen sich auf und «strebte gegen null zu, weil er sich komplett zurückzog», wie sich Rangnick erinnert. Der Spieler habe es sich selber nicht einfach gemacht, sagt Rangnick über das sich zuspitzende Drama, «alle anderen waren schuld, er zeigte keinerlei Reaktionen, schmollte, zog sich beleidigt zurück». Der Coach glaubte, im Gespräch «an eine Wand zu reden». Er gab N'Kufo zu verstehen, dass er, Rangnick, als Trainer Probleme bekomme, wenn es mit «seiner» Verpflichtung nicht klappe. Die zerrüttete Beziehung brach auseinander, als ein tragender Spieler bei Rangnick vorsprach und über N'Kufo in der Extremform sagte: «Ich kann nicht mehr.» Die vertrackte Lage besserte sich erst, als der Problemspieler 2003 zu Twente Enschede wechselte.
Geben - und erhalten
Ist N'Kufo nicht zu führen? «Doch», widerspricht Rangnick, «aber er braucht einen beschaulichen Klub, wenig Konkurrenz und einen Trainer, der absolut auf ihn setzt.» In den Worten von Twente-Coach Coolen klingt dies so: Man müsse «den Blaise Blaise sein lassen»; wenn man ihm etwas gebe, komme auch etwas zurück. Georges Bregy («Er ist sensibel»), einer seiner ersten Förderer in Lausanne, und Andy Egli («Er ist auf sich bezogen, irgendwie in einem Tunnel»), der in Luzern kurz mit ihm zusammenarbeitete, loben ihn. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass N'Kufo in Lausanne, Mainz und Enschede aufblühte. Dort, wo nicht die grosse Fussballwelt ist.
Blaise N'Kufo, an welche Trainer erinnern Sie sich gerne? «Als Claude Ryf in Yverdon entlassen wurde, teilte er mir per Brief mit, dass ich die Möglichkeit hätte, eine Karriere zu machen.» - Und sonst? «Bregy lehrte mich in Lausanne hart zu arbeiten.» - Warum wechselten Sie so oft den Klub? «Einerseits gab es Offerten, so konnte ich mich sportlich und finanziell verbessern. Anderseits lief es in Zürich und Hannover schlecht. Ich musste weg.»
Es ist nicht einfach, Blaise N'Kufo zu verstehen. Er kann auf Telefonanrufe nicht reagieren, sich renitent verhalten oder sich sogar verweigern, um später die Türen aufzutun. In einem Gespräch 1998, weit oben in den Waadtländer Bergen, sprach er so leise, dass er kaum zu verstehen war. Er sagte unter anderem: «Ich denke oft über den Sinn des Lebens nach.» 2004 sitzt er in Enschede, mit weissem T-Shirt, dunkler Hose und einer kleinen Tasche um den Hals. Er zuckt die Schultern. Alle Trainer sagen, dass N'Kufo neben dem Rasen kein Teamplayer sei. Der Spieler sei «sehr eigenwillig» und «immer gleich heimgegangen», erinnert sich Fringer. N'Kufo sei introvertiert, das pure Gegenteil von Alex Frei, seinem Sturmpartner während eines halben Jahres in Luzern, befindet Egli. Und der Däne Kim Christensen, ein Mitspieler in Enschede, äussert sich so: «Blaise behält viel für sich. Er hört zu und denkt viel. Erst nach vielen Wochen lacht er mit.»
Blaise N'Kufo wurde 1975 in Kinshasa geboren, kam mit acht Jahren in die Schweiz, weil sein Vater vor dem Mobutu-Regime aus der Republik Kongo flüchtete. Schon früh wurde er in der Schweiz als «Dreckneger» beschimpft. Der Rassismus treibt N'Kufo zeitlebens um. Der mit einer Kamerunerin verheiratete N'Kufo behauptet, dass er wegen seiner Hautfarbe mehr beweisen müsse als andere. Das sei die Realität, das Leben wolle das so. Er sei nicht paranoid, sondern weise nur auf Tatsachen hin. N'Kufo kehrte nach 1983 nur noch einmal nach Afrika zurück, 2002 nach Kamerun zwecks Hochzeit. Ansonsten sind die familiären Bande zu seinem Ursprung zerschnitten. Warum? «Ich lebe nicht in Träumen, sondern in der Realität.»
Rassismus-Vorwürfe
N'Kufo ist siebenfacher Schweizer Nationalspieler. Als er 2002 vor dem Testspiel gegen Österreich die SFV-Auswahl stante pede - quasi in einer Theorie-Sitzung - verliess, weil ihn Trainer Köbi Kuhn nicht in der Stammformation berücksichtigt hatte, endete auch dieser Weg vorzeitig. Zumal er gegen Kuhn (der sagt: «Das waren massive Vorwürfe - an wen auch immer») und die Spieler rassistische Unterstellungen erhob. «Ich hätte damals gehen und nichts mehr sagen sollen», sagt N'Kufo. Inzwischen weiss er, dass der Vorfall seinem Ruf schadete. Anfang 2004 griff der Ausgemusterte, die Euro vor Augen, zum Telefon und bat Kuhn um Wiederaufnahme. Die beiden einigten sich auf ein Gespräch unter vier Augen. Doch der N'Kufo-Berater Costa Bonato streute die Meldung in den Medien, womit das Fass abermals überlief. Kuhn blieb strikt, obwohl er grundsätzlich über sich sagt: «Ich bin nicht der, der nicht bereit ist zu vergessen.»
Rangnick flehte den Spieler nach dessen überstürzter Flucht aus der Schweiz schier an: «Blaise, nenne mir einen Grund, warum dich Kuhn aufbietet, wenn er etwas gegen Schwarze hätte. Blaise, du bist nicht Ronaldo. Also, warum sollte er dich im Kader haben wollen?» Blaise schwieg. Die Geschichte ist mittlerweile passé. «Ich bin es müde, über das Nationalteam zu sprechen», sagt N'Kufo. Der Augenschein in Enschede bestätigt, dass der Afrikaner in Anbetracht der Not an Stürmern ins Nationalteam gehörte. Doch solange Kuhn Nationaltrainer ist, bleibt die Akte geschlossen.
In Enschede fühlt sich N'Kufo wieder heimisch. Doch nach der erfolgreichen letzten Saison wollte er (wieder) weg. Denn Globetrotter N'Kufo träumt immer noch vom grossen Fussball, «zum Beispiel von England». Der Transfer zu einem grösseren Verein kam nicht zustande. Zum Glück für ihn.
N'Kufos 13 Stationen
1993/94 Lausanne-Sports. Nachher Stade Lausanne, Echallens und Al-Arabi (Katar). 1996/97 Yverdon. 35 Spiele, 12 Tore. 1997/98 Lausanne-Sports. 34 Spiele, 18 Tore. Cup-Sieg. 3-Mio.-Franken- Transfer zum GC. 1998/99 GC, Lugano (leihweise). 1999/00 Lugano (leihweise), GC. 2000/01 Luzern (leihweise), Mainz. 2001/02 Mainz. 28 Spiele, 14 Tore. «Fast-Aufstieg» in die 1. Bundesliga, über 2-Mio.-Franken-Transfer zu Hannover. 2002/03 Hannover. Début in der 1. Bundesliga am 11. August 2002 in Hamburg (1:2). 9 Spiele, 0 Tore. 2003/04 Twente Enschede (leihweise). 28 Spiele, 14 Tore. Ende Saison: 1-Mio.-Franken-Transfer zu Twente. 2004/05: Twente Enschede. 3 Spiele, 2 Tore. Dreijahresvertrag. (bir)
Quelle:
http://www.nzz.ch/2004/09/12/sp/page-article9UFY4.html[/b]