Nicht mehr nett und freundlich?
Mit acht neuen Spielern geht Hannover 96 in die Saison 2008/2009, will sich endgültig in der oberen Tabellenhälfte festsetzen und träumt leise vom UEFA-Cup. sportal.de bestätigt im Teamcheck, dass sich 96 vom "immer nett und freundlich"-Image gelöst hat und sich langsam auf dem Weg nach oben befindet.
Stärken/Schwächen
Eines der dringlichsten Probleme hat Hannover mit der Verpflichtung von Jan Schlaudraff und Mikael Forssell im Vorfeld der anstehenden Spielzeit gelöst: Mit den beiden Neueinkäufen stehen Trainer Hecking endlich mehr taktische Optionen im Angriff zur Verfügung. Eine weitere Baustelle ist bislang aber noch nicht zufriedenstellend behoben worden.
Für die Defensive wurde nach der Verpflichtung von Valerien Ismael mit dem Schweizer Mario Eggimann zwar ein weiterer starker Innenverteidiger geholt, allerdings klafft auf den Außenpositionen ein großes Loch, wenn die Spieler aus der Startelf einmal ausfallen sollten. Zudem gehören Tarnat mit seinen fast 39 Jahren, Cherundolo (29) und Ismael (32) nicht mehr zu den jüngsten Spielern und lassen es deutlich an Schnelligkeit vermissen. Auch Eggimann ist mit seinen zwar erst 27 Jahren ein eher robuster, etwas langsamer Spieler.
Das Mittelfeld ist mit Balitsch, Huszti, Bruggink und Rosenthal gut besetzt, wobei es Spielmacher Bruggink aber öfter einmal an der nötigen Konstanz und Spritzigkeit mangelt. Schwachen Hinrunden liess er in seinen beiden 96-Jahren jeweils starke Rückrunden folgen. Kann er die Form des letzten Halbjahres konservieren, ist er aber eine feste Größe.
Insgesamt muss man konstatieren, dass die Roten im Angriff, Mittelfeld und mit Robert Enke im Tor ziemlich gut besetzt sind. Mehr als oberes Mittelmaß ist die Startelf jedoch nicht und in der Tiefe des Kaders lauern außer vielleicht im Sturm fast nur junge Talente oder Spieler, die ihre beste Zeit schon hinter sich haben.
Sollte das Team es schaffen, ohne größere Verletzungssorgen durch die Saison zu kommen, ist Hannover durchaus zuzutrauen, dass man auch einmal die Top-Clubs ärgern kann. Die Niedersachsen haben ein homogenes Mannschaftsgefüge und einige routinierte Spieler mit Führungsqualitäten, was eindeutig zu den Stärken des Teams zählt. Doch um weiter nach oben zu kommen, muss sich auch im taktischen Bereich noch etwas ändern. Noch verstehe es sein, Team nicht, das Tempo nach Belieben zu variieren und sich so mehr Möglichkeiten zu eröffnen, beklagte sich Coach Hecking.
Auf den Spieler sollten Sie achten
Neben der Verpflichtung von Mario Eggimann vom KSC und Jan Schlaudraff vom FC Bayern hat vor allem ein Transfer zu wahren Begeisterungsstürmen in der niedersächsischen Landeshauptstadt geführt: Mikael Forssell wechselte ablösefrei von Birmingham City an die Leine und soll der Torgarant der kommenden Spielzeit werden. Nachdem der 27-jährige Finne bereits letzte Saison kommen sollte, von seinem Ex-Verein aber keine Freigabe erhielt und zudem Zweifel an seinem maladen Knie herrschten, klappte es nun doch noch mit dem Transfer.
Gleich im ersten Test gegen die Kreisliga-Kicker vom FC Boffzen deutete Forssell mit zehn Toren seine Klasse an. Für den flexiblen Angreifer ist es nach einem halben Jahr bei Mönchengladbach, wo er in 16 Spielen sieben Tore schoss, der zweite Auftritt in der Bundesliga. Nachdem der in Deutschland geborene Finne in der Premier League die letzte Saison beschwerdefrei durchspielen konnte, brennt Forssell jetzt auf die neue Saison in der Bundesliga.
"Für mich zählen nur Tore", ließ er bei seiner Ankunft in Hannover verlautbaren und hängte sich schon im Training so rein, dass ihn Trainer Hecking förmlich bremsen musste. Forssell kann sowohl als alleinige Spitze, als auch neben Hanke und/oder Schlaudraff eingesetzt werden und besticht durch seine gute Technik und Abgebrühtheit vor dem gegnerischen Kasten. Kein Wunder also, dass die Vorfreude auf die kommende Saison in Hannover groß ist.
Dieser Spielertyp fehlt
Während im Sturm und im Mittelfeld ausreichend viele gute Spieler vorhanden sind, besteht in der Defensive noch Nachholbedarf. Durch die Verpflichtung von Mario Eggimann und Valerien Ismael ist im Abwehrzentrum zwar Ruhe eingekehrt, doch auf den Außenpositionen sieht das ganz anders aus.
Während die Fans ihren Fokus vor allem auf die rechte Abwehrseite legen, wo mit Cherundolo im Grunde nur eine Stammkraft vorhanden ist, die notfalls durch den eigentlich für das defensive Mittelfeld vorgesehene Hanno Balitsch ersetzt werden kann, bestehen auf links nicht weniger Probleme. Eigentlich ist dort Michael Tarnat gesetzt, der aber wegen diverser Verletzungen in der abgelaufenen Saison nur 16 Mal zum Einsatz kam. Auch jetzt verpasst der mit fast 39 Jahren älteste Feldspieler der Liga den Saisonauftakt und fällt verletzt auf unbestimmte Zeit aus.
Aufgrund seines Alters ist Tarnat - trotz seiner unbestrittenen Qualitäten in der Spieleröffnung - körperlich nicht mehr in der Verfassung, Angriffe mit schnellen Vorstößen einzuleiten. Ersatzmann Christian Schulz ist auf dieser Position eigentlich verschenkt, da er im defensiven Mittelfeld wesentlich wirkungsvoller ist. Neben Konstanz und Sicherheit sorgt er auf der linken Abwehrseite aber zumeist auch für etwas mehr Spritzigkeit im Spiel nach vorne.
Einzige weitere Alternative wäre der erst 18 Jahre alte Konstantin Rausch, dem bereits nach seinen bisher erst zwei Bundesliga-Einsätzen eine große Karriere vorhergesagt wird. Gleiches galt aber auch für Sören Halfar, der nach zehn Einsätzen für 96 und großem Verletzungspech an Paderborn abgegeben wurde. Das Risiko, seine Hoffnungen auf Rausch zu setzen, ist definitiv zu groß und so wäre die Verpflichtung eines starken Außenverteidigers, der am besten rechts und links spielen kann, eine äußerst sinnvolle Maßnahme.
So war es vor einem Jahr
Nach der Saison 2006/2007 fand sich Hannover in der Bundesliga-Tabelle auf Platz elf wieder. Diese Position spiegelte aber nicht die Leistung des Teams wider. Mit 44 Punkten liefen die Niedersachsen nur einen Zähler hinter dem auf Platz sieben (und damit für den UI-Cup qualifizierten) Hamburger SV ein.
Wegen der anhaltenden Torflaute im Sturm holte der Verein Benny Lauth vom HSV, der eine Alternative zu den formschwachen Brdaric und Hashemian bilden sollte, sich aber als Fehleinkauf erwies und bekanntlich nach der abgelaufenen Spielzeit an 1860 München abgegeben wurde. Somit blieb Trainer Hecking nur ein 4-2-3-1-System mit Mike Hanke als einziger echter Spitze übrig, was die taktischen Möglichkeiten deutlich einschränkte. Erst als Jiri Stajner in der Rückrunde aufblühte, agierte 96 meist mit zwei Stürmern im 4-4-2.
Dafür hatte sich um Balitsch und Huszti im Mittelfeld eine schlagkräftige Formation etabliert, die immer wieder für Gefahr nach vorne sorgte. In der Defensive versuchten Vinicius, Tarnat, Fahrenhorst und Cherundolo für Sicherheit zu sorgen, ließen insgesamt aber zu viele Gegentore zu (50 in der Saison 2006/2007 und 56 in der Saison 2007/2008).
Das soll sich in dieser Saison durch die Verpflichtungen von Ismael und Eggimann ändern. Schon vor einem Jahr hatte das Team phasenweise gezeigt, dass es mit den Top-Clubs der Bundesliga mithalten kann, doch es fehlte die nötige Konstanz, um sich in der oberen Tabellenhälfte wirklich zu etablieren.
Das bewegt die Fans
Drei Themen prägen die momentanen Diskussions-Foren der 96-Fans. Ist Florian Fromlowitz ein adäquater Ersatz, falls sich Robert Enke doch noch entscheiden sollte, den Verein zu verlassen? Ist es akzeptabel, dass Präsident Martin Kind "Die Roten" aus Marketing-Gründen bald zu "Den Grünen" machen will?
Das meistdiskutierte Thema ist allerdings die Einkaufspolitik in der Defensive. Dass nach der Verpflichtung von Valerien Ismael in der Winterpause lediglich Mario Eggimann als gestandener Anbwehrspieler geholt wurde, stößt allgemein auf Unverständnis, da nach Ansicht der Fans auf der rechten Seite noch Handlungsbedarf besteht.
96-Urgestein Steven Cherundolo rutschte in der letzten Saison ins Formtief, startete aber mangels Alternativen trotzdem zumeist auf seinem angestammten Posten. Erster Ersatz wäre hier wohl Balitsch, der dann aber im Mittelfeld fehlt. Der eigentlich als Offensivkraft verpflichtete Sal Zizzo soll laut Hecking langfristig für die rechte Defensivseite ausgebildet werden. Und auch Neuzugang Leon Balogun (Türkiyemspor Berlin) soll direkt den Sprung von Liga vier in Liga eins schaffen. Gestandene Herausforderer sind sie aber nicht.
Wunschelf
Tor: Robert Enke, Abwehr: Christian Schulz, Mario Eggimann, Valerien Ismael, Steven Cherundolo, Mittelfeld: Hanno Balitsch, Szabolcs Huszti, Jan Rosenthal, Arnold Bruggink, Angriff: Jan Schlaudraff, Mikael Forssell
Während Enke im Tor gesetzt ist, bieten sich Coach Hecking ansonsten diverse Möglichkeiten. Unsere Wunschformation wäre im Prinzip ein 4-1-3-2 mit Cherundolo auf der rechten Abwehrseite, Ismael und Eggimann in der Mitte und Schulz auf links, der den in die Jahre gekommenen und derzeit verletzten Tarnat mindestens bis zu dessen Genesung ersetzt.
Balitsch würde als 6er fungieren, während im offensiven Mittelfeld Huszti auf links, Bruggink zentral und Rosenthal auf rechts zum Einsatz kämen. Schlaudraff würde dann als hängende Spitze hinter Forssell (oder Hanke) fungieren. Wegen der Neueinkäufe ist aber noch unklar, welches System Dieter Hecking in der Saison bevorzugen wird. Wenn es wieder auf ein 4-2-3-1 hinausläuft, wird Schulz eigentlich neben Balitsch auf der 6er-Position benötigt, da dieser aber zum Saisonstart links unverzichtbar ist, blieben Urgestein Altin Lala und Chavdar Yankov als Alternativen.
Im offensiven Mittelfeld wären dann Huszti auf links, Bruggink zentral und Schlaudraff auf rechts wahrscheinlich. Forssell (oder Hanke) würde als einziger nomineller Stürmer auf dem Feld stehen. Eine dritte - noch etwas offensivere - Variante wäre, mit Schlaudraff im rechten Mittelfeld zu spielen, Bruggink zentral, Huszti links und mit Forssell und Hanke zwei echte Stürmer aufzubieten.
Prognose
Das Saisonziel obere Tabellenhälfte ist ein durchaus realistisches für Hannover 96. Klar ist jedoch, dass die Roten mit Vereinen wie München, Schalke und Bremen nicht mithalten können. Aber auch Leverkusen, Hamburg, Wolfsburg und Stuttgart sind in der Breite einfach zu stark aufgestellt, als dass die Wahrscheinlichkeit hoch wäre, dass die Niedersachsen über die gesamte Saison gesehen an ihnen vorbeiziehen könnten.
Auch Borussia Dortmund hat sich mit einem neuen Trainer und einigen guten Spielern verstärkt, so dass der BVB ein harter Konkurrent für 96 wird. Angesichts der Problematik in der Außenverteidigung ist wieder damit zu rechnen, dass Hannover in der kommenden Spielzeit recht viele Gegentore kassiert, weshalb sportal.de die Roten am Saisonende auf Platz neun und damit knapp in der oberen Tabellenhälfte sieht.
Sollten Schlaudraff und Forssell allerdings das erhoffte Torfeuerwerk zünden, könnte es noch ein wenig höher hinaus gehen - der Traum vom UEFA-Cup muss aber wohl noch etwas warten.
Philipp Lindenberg
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