kai1896 hat geschrieben:
Wenn ich aber solch ein Problem mit der Presse habe, dann bin ich in der Showbranche Bundesliga falsch und sollte in der Jugend trainieren. Nur wegen der Presse erhält der Profisport diese immense Aufmerksamkeit. Beide Seiten profitieren also voneinander und sind voneinander abhängig. Wenn dann aber jemand wie Lienen bei jeder seiner Stationen Ärger mit der Presse hat, spricht einiges dafür, dass er nicht in der Lage ist, mit Journalisten zusammen zu arbeiten. Damit sollte er sich aber eingestehen, dass er für einen Job im bezahlten Fußball nicht geeignet ist.
Okay, mir reicht dieses Halbwissen jetzt, dann will ich mal ein wenig Hintergündiges beisteuern und zunächst erwähnen: Ich bin Freier Redakteur, habe zwar aktuell mit Sport etc. nichts zu tun, um Fragen vorwegzugreifen, aber Redaktionen lange genug von Innen gesehen, um das eine oder andere beurteilen zu können.
Speziell aus Bremer Zeiten, in einer Phase, als Otto Rehagel nach einigen taktischen Fehlentscheidungen in der Kritik stand, habe ich unter anderem live erlebt, wie Sportpresse funktioniert.
Wenn Ewald Lienen sagt, die negative Stimmung gegen ihn sei vorbereitet worden, so trifft dies voll zu. Das kann jeder nachprüfen, allein an der NP, die für mich ebenfalls sehr deutlich zeigt, dass Bundesligaberichterstattung heute nur noch am Rande mit Tatsachen und guter Recherche zu tun hat (aus den Trainingslagerberichten weiß ich jetzt, wo man an der Küste und im Harz am besten saufen kann - nur über 96 erfahre ich nahezu nichts).
Da schreibt zum Beispiel der liebe "Kollege" Willeke am Ende seines Werder-CL-Berichts, dass die Mannschaft mit offensivem Fußball, "wie man sich den auch in Hannover wünschen würde", erfolgreich gegen Valencia war. Am Kopf der Seite heißt es "Euphorie um Rangnick" (beschrieben wird eine Nullachtfuffzehn-Flugzeuglautsprecherdurchsage, wie sie nach jedem gewonnenen Spiel geschieht), auf der Titelseite wird "Rangnicks Schalke gewinnt 4:0" geschlagzeilt.
So etwas nennt man tendenziell und suggestiv. Und exakt das geschieht seit sechs Wochen tagtäglich. Das ist die billigste Methode, Stimmung zu machen, und sie zieht, weil der Sportteil der NP ohnehin nicht zwischen Bericht und Kommentar trennt. BILD ist da direkter, aber passt ins Bild.
Ewald Lienen ist auf Grund seiner Erfahrungen nun inzwischen so dünnhäutig, dass er das als Kampagne wertet. Das ist es in der Tat noch nicht, denn zu einer Kampagne gehört, dass alle Medien an einem Strang ziehen. Das scheinen sie noch nicht zu tun. In Bremen - um auf das Beispiel zurückzukommen - hat sich die Journaille irgendwann abgesprochen, Rehagels Kopf zu fordern. Wie gesagt: Ich war dabei.
Das tut die HAZ aber noch nicht, die in diesem selbstdynamischen Prozess nun aber mit im Topf steckt. Insofern würde ich - wäre ich Lienens Medienberater - ihm empfehlen, sich mit der HAZ-Redaktion (ich meine Redaktion, nicht Redakteur) zusammenzusetzen und eine offenes Gespräch führen.
Auf den Rest würde ich ganz genau so pfeifen wie er. Allerdings - da ist mein Naturell anders als Lienens - würde ich statt sehr berechtigter Distanz ironische Offensive bevorzugen, so wie es der Meyer gemacht hat. Den haben die Medien zwar irgendwann als "kauzig" bezeichnet, aber er hat sie aufs allerherzlichste nach Strich und Faden verarscht.
Zwischenfrage: Für sein Rückgrat wurde Meyer von den Fans geliebt - warum wird dieses Rückgrat, das Ewald Lienen absolut auszeichnet, das sich aber anders äußert, hier fast schon gehasst? Muss es nicht "Willeke raus" statt "Lienen raus" heißen?
Weiter: Lienen hat sich auf N3 glänzend verkauft, weil er ehrlich geantwortet hat. Ein paarmal blitzte seine Verzweiflung auf, weil Uwe Bahn nicht zu einer Sekunde wirklich auf seine Antworten eingegangen ist. Es lag ja auch ein wunderbarer Bericht zu Grunde, der - da plaudere ich aus dem Nähkästchen - absolut ungewöhnlich war. Da in der Regel kein Journalist andere Journalisten befragt (weil sich viele nicht grün sind, Selbstdarstellungstrieb und Neid in der Branche ohnehin weit verbreitet sind), war das echt der Hammer.
Und wer genau hingeschaut hat, dem wird aufgefallen sein, dass kein befragter Redakteur über sich gesprochen hat, sondern immer das Beispiel eines Kollegen genannt hat (der böse, böse Ewald hat meinen Kumpel angemacht, ich hätte fast Tränen gelacht, wenn das nicht alles so traurig wäre).
Lienen tat mir leid, weil er da wie auf einem heißen Stuhl saß. Dabei will er nur das, was er auch gesagt hat: In Ruhe arbeiten.
Das ist sein gutes Recht, und es geht nicht darum - fühl dich da bitte nicht angemacht, Kai - "mit den Medien zusammarbeiten". Ich habe mal irgendwann gelernt, dass ich als Journalist zwar überall mitten drin zu sein habe, aber im eigenen Interesse nicht dabei zu dürfen. Alles andere führt zu den so genannten "Hintergrundgesprächen", bei denen in aller Regel viel Bier fließt und am Ende das heraus kommt, was der Einladende möchte. Besonders beliebt bei Lokalpolitikern.
Kritische Distanz ist eigentlich etwas, was von Medien gefordert wird. Insofern ist es abstrus zu sagen, ein Trainer habe mit den Medien zusammenzuarbeiten. PR-Agenturen oder Pressesprecher haben mit Medien zusammenzuarbeiten. Dafür sind sie da. Ein Trainer hat zu trainieren. Aber da war ich Rangnicks Meinung: Hannover 96 braucht eine professionelle Pressearbeit. Die Ansätze sind zwar gut. Aber jetzt zeigen sich die Grenzen bzw. der Bedarf, unabhängig davon, ob der Trainer Lienen heißt.
Nun gut, wir leben inzwischen in anderen Zeiten, die Grenzen sind aufgeweicht. Was - nebenbei erwähnt - die journalistische Qualität insgesamt in Deutschland kräftig hat schwinden lassen, weshalb zum Beispiel der DJV eine Qualitätsdiskussion anregt.
Aber wir, die Konsumenten, haben die Wahl: Uns wie die Lemminge auf jede Pseudotatsache zu stürzen, oder kritisch zu hinterfragen und vor allem eines zu tun: Tatsachen von Meinungen zu trennen. Da sich die meisten Schreiber noch nicht einmal sonderlich schlau beim Verquicken der selben anstellen, fällt das eigentlich nicht schwer.
Da ich das alles weiß und kann, mache ich mir selbst ein Bild über Team, Trainer und Verein, so weit es geht. Und da sehe ich im Moment einen eigentlich gut funktionierenden Haufen, der eigentlich auch endlich mal die Ruhe hat, etwas zu entwickeln.
Wieso daher ausgerechnet im Fan-Forum von Hannover 96 der Effekt eines vorauseilenden Gehorsams eintritt, der den Kopf des Hannover 96-Trainers fordert, obwohl es die (feige) Presse noch nicht einmal tut, ist mir schleierhaft.
Nehmt den Mann, wie er ist. Schätzt ihn, weil er den Sport als Thema Nummer Eins sieht und nicht sich selbst als "Mediennutte" (Zitat Harald Schmidt). Er hat mehr als nur eine kleine Chance verdient, denn sein strategisches Geschick hat er oft genug bewiesen. Die Tore kann er schließlich nicht selbst schießen.
Aber, da zitiere ich mich selbst: So wie hier die so genannten kreativen Spieler die Lorbeeren ernten, wo es doch die Arbeiter sind, die ihnen das erst ermöglichen, die aber auch noch beschimpft werden (Dabro), so scheint in "Deutschland sucht den Supertrainer"-Zeiten nur noch die Fassade zu zählen denn die Inhalte.