Wenn ich mir die Diskussionen in den Foren und den Medien so anschaue, mir angucke, was Vereinsoffizielle, Politiker und Fans angeblich alles vorhaben, sei es Repressionen oder Demonstrationen, frage ich mich, wo die Reise hingehen soll.
Es wird immer wieder von Unverbesserlichen geredet, denen man mit der vollen Härte des Gesetzes (und darüber hinaus...) begegnen müsse. Früher waren es Hooligans, anschließend Kutten, dann wieder Hooligans, heute sind es die Ultras, die Probleme machen. Auch diese Probleme unterliegen einem ständigen Wandel, zumindest in der Betrachtungsweise. Erst waren Kloppereien das Problem, dann Pyrotechnik, dann Spruchbänder, nun sind es beleidigende Sprechchöre und...
...das Wedeln einer
diskussionswürdigen, aber nicht verbotenen Fahne.
Gerne wird dabei, so es einem denn in den Kram passt, alles in einem Topf geworfen. Die Medien machen es vor, andere beten es gebetsmühlenartig nach, sowohl unbeteilgte Bürger, die mit Fußball einfach mal gar nichts am Hut haben, als auch Leute, die am Samstagnachmittag die NDR2-Konferenz hören und abends das Aktuelle Sportstudio gucken (wenn man dann noch nicht eingeschlafen oder einem das super duper Blockbuster-Event auf
ProBäh nicht wichtiger ist).
Beleidigungen sind auf einmal die Vorstufe zu einem Verhalten wie das der Kölner im Fall Pezzoni, eine Fahne mit einem Massenmörder untermauert das Ganze angeblich. Wenn man den Schiedsrichter beschimpft, ist das natürlich etwas anderes (hat Martin Kind sich eigentlich schon öffentlich bei Aytekin entschuldigt für das Pfeifkonzert?).
Interessant finde ich die Doppelmoral, mit der beim Thema Ultras/Fußballfans im Allgemeinen gerne vorgegangen wird. Von oben genannten Beleidigungen mal abgesehen, wird dem gemeinen Kurvenfan gerne mal vorgeworfen, er halte sich für etwas besseres. Auf der anderen Seite wird sich hingegen auch gerne mal über den Besuchern aus der Kurve erhoben, indem man nicht müde wird zu erwähnen, dass man auf der Geraden schließlich deutlich mehr an Eintrittsgeldern zahlt (es gibt allein hier im Forum genug Beispiele, wo es sinngemäß heißt: "Was glaubt ihr eigentlich, wer euch finanziert?!").
Ebenso scheint es gesellschaftlich eine weit gefächerte Auffassung darüber zu geben, wer für was nun wirklich bestraft werden müsse und wer versuchen dürfe, sich gegen eine Bestrafung zu wehren. Wer mit 90 km/h durch eine Ortschaft brettert und geblitzt wird, nimmt sich einen Anwalt. Der stellt fest, dass der Blitzer 0,1896 Millimeter zu weit links stand und schon kommt er straffrei aus der Sache heraus. Aber was sind schon Verstöße im Straßenverkehr gegen das Schwenken einer Fahne?! Den Vergleich der Verletztenstatistiken Straßenverkehr vs. Pyrotechnik (und Fahnenschwenken^^) spare ich uns.
Man muss aber gar nicht so weit ausholen, es reicht schon der Blick hier ins Forum. Sobald ein Moderator aktiv wird und jemanden verwarnt oder sperrt ist das Geheule groß. Dabei könnte man die gleichen Argumente, die hier im immer wieder hervorgebracht werden, auch bei der Moderation anwenden: Es gibt die Forenregeln und wer sich nicht daran hält, muss mit Konsequenzen rechnen. Stattdessen wird lamentiert. Aber Fans aus der Kurve müssen sich gefälligst alles gefallen lassen?
Auch der Verein selbst geht mit einer Doppelmoral ans Werk, dass einem schlecht werden könnte. Nun wird also Einspruch gegen den Platzverweis Husztis eingelegt. Man kann von dieser schwachsinnigen Regel der Doppelbestrafung halten was man möchte, es ist aber eine Regel, die vom Schiedsrichter konsequent umgesetzt wurde. Im Gegensatz zur Stadionordnung, wo in vielen Bereichen Interpretationsspielräume ohne Ende vorhanden sind, sind die Regeln der FIFA in diesem Falle eindeutig und argumentativ nicht anfechtbar. Statt dass dies eingesehen wird, wird sich lieber quer gestellt und diskutiert.
Warum räumt man anderen das Recht der Diskussion nicht ebenfalls ein? Nicht dass ich hier falsch verstanden werde, ich finde eine Bestrafung für einen Torjubel seit je her unfassbar kleinkariert, es geht mir hier lediglich ums Prinzip und die Herausstellung der Doppelmoral, die beim Akzeptieren von Regeln und Sanktionen bei Nichteinhaltung derselbigen herrscht.
Es gibt verschiedene Ansichten vom Fußballfan und jeder glaubt, seine wäre die einzig wahre, da nehmen sich beide Seiten nichts. Es ist natürlich richtig, dass Profifußball in der heutigen Zeit nicht mehr möglich wäre ohne Logen und Sponsoren. Der Fußball wäre aber nicht das, was er heute ist ohne die Fans, die Spiel für Spiel ein optisches und akkustisches Spektakel sorgen. Das, was viele als Event bezeichnen, wird fabriziert von den Leuten in der Kurve, die sich die Kehle aus dem Leib schreien und aufwändige Choreographien organisieren.
Mir scheint es so, dass bisher die wenigsten begriffen haben, dass es weder ohne die einen, noch ohne die anderen geht. Noch fassungsloser macht es mich, dass sich in Bereichen gegenseitig versucht wird ans Bein zu pinkeln, wo es eigenltich gar keine Berührungspunkte gibt, es sei denn, man sucht verzweifelt nach etwas, woran man sich aufreiben kann. Warum regt man sich derart über eine Fahne auf? Gut, wenn es eine Reichskriegsflagge wäre, könnte ich es verstehen. Aber nicht bei einem zur Folklore gewordenen Massenmörder.
Ich wiederhole an dieser Stelle nochmal zwei Fragen, die mir bisher noch niemand beantworten konnte:
a) Wo liegt die Grenze zwischen Folklore und Geschmacklosigkeit? Wieso ist Jack the Ripper Kult und Haarmann nicht?
b) Wer legt diese Grenze fest?
Ich bin mal gespannt, denn eine Antwort, sofern es denn überhaupt eine eindeutige gibt, wird sich weder auf bild.de noch auf de.wikpedia.org finden lassen.
Martin Kind hat sicherlich einiges geleistet, wofür man ihm als Fan von Hannover 96 dankbar sein sollte. Man sollte aber nicht vergessen, dass auch er in der Vergangenheit sehr häufig daneben lag, sei es im sportlichen oder wirtschaftlichen Bereich. Um nur eins von vielen Beispielen zu nennen, ein Zitat von ihm: "Jan Schlaudraff wird nie wieder ein Spiel für Hannover 96 machen." Man stelle sich vor, Mirko Slomka hätte nicht das Durchsetzungsvermögen gehabt, und ihn tatsächlich aus dem Kader gestrichen.
In meinen Augen liegt er mit der Bewertung der Wichtigkeit eines heterogenen Publikums im Stadion ebenso daneben, sogar mächtig daneben. Es sind beiweitem nicht nur die Ultras, die von den momentanen verbalen Ergüssen unseres Präsidenten die Faxen dicke haben. Es werden nicht nur die hier immer wieder kolpotierten 150-200 Personen sein, die bei einer konsequenten Weiterführung der momentanen Reinigungsaktion in der Kurve (und nichts anderes als das ist es, was hier momentan gespielt wird) dauerhaft dem Niedersachsenstadion fernbleiben werden.
Man sollte nicht vergessen, dass es einen Stamm an Fans gibt, die weit mehr Strapazen, sei es in zeitlicher oder finanzieller Hinsicht, auf sich nehmen, als es der durchschnittliche Stadionbesucher tut. Ob das nun "bessere" Fans sind, muss jeder für sich entscheiden. Darauf will ich aber auch gar nicht hinaus. Vielmehr will ich aufzeigen, was fehlte, wenn diese Personengruppe nicht mehr im Stadion sein würde.
Nehmen wir die Choreos der letzten Saison. Niemand, der regelmäßig ins Stadion geht, kann mir erzählen, dass Choreos
wie gegen Madrid (das
Mannschaftsbild ist ein Traum) oder für
Altin Lala nicht zu einem Stadionerlebnis
für alle Stadionbesucher beitragen. Wer mal einen Einblick bekommen möchte, was solch eine Choreo kostet, der möge sich mal die
Rechnung der Ultras Gelsenkirchen zu ihrer letzten Choreo anschauen. Und das ist nur der finanzielle Aspekt, die Zeit, die bei solch einer Aktion jedesmal aufgewendet wird, ist immens. Das alles geschieht ehrenamtlich. Um das auf sich zu nehmen, bedarf es einiges an Herzblut für den Verein, soviel zum Thema "das sind keine Fans, denen geht es nur um sich selbst".
Auch sind es die Fans aus der Kurve, die ihre Mannschaft überall hin begleiten. Es fahren 10.000 Menschen nach Kopenhagen, um mal ein Auswärtsspiel in Europa besucht zu haben, aber wer war in Poltawa? Wer war letzte Saison in Nürnberg oder Stuttgart? Im Gästeblock hätte man picknicken können.
Auch viele andere Aktionen geraten leider viel zu schnell in Vergessenheit. Letztens habe ich bereits die Spendenaktion für Benny erwähnt, die Becherspenden der Roten Kurve, die Brigade Nord 99 verkauft selbsterstellte Fanartikel für "Ein Herz für Kinder" usw. usf. Dazu kommen noch diverse Kampagnen gegen Rassismus und Homophobie. Aber wenn ein selbsternannter (und sogenannter^^) "Promi-Fanclub" spendet, muss sowas natürlich gleich in eine Stellungnahme.
Normalerweise wäre das Thema hier für mich durch, allerdings kenne ich das Forum lange genug, um zu wissen, dass ich jetzt erstmal anmerken muss, dass ich mit all den aufgezählten Aktionen selbstverständlich keine Straftaten entschuldigen will. Mal davon ab, dass das Schwenken einer nicht verbotenen Fahne keine Straftat ist, ging es mir auch viel mehr darum aufzuzeigen, dass die Leute, die der Meinung sind, dass "
niemand" (so drückte es ein User weiter oben aus) diese Fans vermissen würde, ein klein wenig daneben liegen könnte. Wenn die Geräuschkulisse im Stadion mit Klatschpappen erzeugt wird und alle paar Minuten ein Hannover-Wechselgesang mit allen Tribünen angestimmt wird, weil einem sonst nichts mehr einfällt, wird man merken, dass etwas fehlt.
Man kann zum modernen Fußball stehen, wie man will, aber es ist zu einfach zu behaupten "Die machen den Fußball kaputt" und gleichzeitig alles gutheißen, was in den Vorstandsetagen der Vereine und der DFL beschlossen wird. Ein Stadionbesuch ist zu einer reinen Werbeversanstaltung geworden, der Sport scheint nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen, sondern nur noch das Mittel für immer größere Einnahmen zu sein. Ich warte auf den Tag, an dem das ganze System kollabiert.
Wenn ich sehe, dass ein durchschnittlicher Fußballprofi in einem Jahr soviel verdient, wie ein Rettungsassistent oder eine Krankenschwester in einem ganzen Arbeitsleben (wenn überhaupt), wird mir schlecht. Das Schlimme ist, das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht erreicht. Martin Kind ist einer derjenigen, die noch viel höher hinaus wollen, die immer neue Einnahmequellen suchen, um immer mehr Geld in den Kosmos Fußball zu pumpen. Nur mit welchem Ergebnis?
Findet er für Hannover 96 einen potenten Investor, stehen wir finanziell erstmal besser als andere da. Aber andere Vereine werden nachziehen und noch viel potentere Investoren finden, vor allem Bayern, Dortmund, Schalke, Hamburg. Die Ablösesummen stiegen ebenso wie die Gehälter ins Unermessliche, die Berater würden sich dumm und duselig verdienen, aber eines würde ganz sicher nicht passieren: Die Spieler würden nicht besser als vorher werden, weil es immer noch die gleichen Spieler sind.
Ich will das hier nicht weiter ausführen, der Beitrag ist auch so lang genug. Nur eines noch: Hannover 96 ist ein Paradebeispiel dafür, was aus einer grauen Maus werden kann, wenn Verein
und Fans zusammen arbeiten und wenn sportlich mit Bedacht gehandelt wird. Unsere Mannschaft ist der beste Beleg dafür, dass eine gute Stimmung innerhalb der Mannschaft unersetzlich ist. Schmadtke und Slomka haben gezeigt, dass man auch mit wenigen finanziellen Mitteln großen Erfolg haben kann. Martin Kind hingegen ist gerade dabei, all das mit dem Arsch umzureißen, indem er einen Keil in die Fanszene treibt und weiterhin die 50+1-Regel kippen will, mit dem Ziel, zukünftig Gelder zum Fenster rausschmeißen zu können, statt weiterhin die Tugenden zu fördern, die uns zu dem gemacht haben, was wir aktuell sind: Die wohl größte positive Überraschung im deutschen Profifußball der letzten x Jahre.