"Der Gläubige, der nie gezweifelt hat, wird schwerlich einen Zweifler bekehren."
Nach Robert Enkes Tod ist mir aufgefallen, dass Hannover 96 seine Marketingstrategie deutlich anders positioniert hat. Sein Tod hat vieles verändert: Für den Verein, für die Fans, für die Medien und für die Marketingstrategen.
Natürlich ging und geht es nach wie vor um das Liebe Geld, dass der Verein bzw. die KGaA von uns haben möchte, jedoch ist das Verhältnis zwischen dem Verein und den Fans nicht mehr so kühl und verhalten wie zuvor. Man hatte in der Vergangenheit vieles versucht um die "Marke 96" zu etablieren und auszubauen. Zum Beispiel sollten wir ab sofort nur noch "Die Roten" aus dem Norden sein.
Die gesamte Außendarstellung, das Corporate Design wurde daraufhin angepasst. Der Kunde nahm es an - der Fan jedoch nicht: "Schwarz-Weiß-Grün sind unsere Farben, Schwarz-Weiß-Grün die ganze Stadt!"
Der 10. November 2009 hat aber alles auf den Kopf gestellt. Plötzlich nahm man den Fußball in der Region Hannover ganz anders wahr. Hunderte von Kerzen wurden am Stadion angezündet, 30.000 Menschen marschierten von der Innenstadt zum Stadion in Trauer um Enke, 40.000 waren bei der Trauerfeier im Stadion dabei. Die Medienlandschaft sprach tagelang von nichts anderes. Eine bis dahin nie zuvor eingetretene Situation.
Das Fußballgeschäft musste aber auch für Hannover 96 weitergehen und man reagierte auch dementsprechend. Es wurde ein großes Trikot im Stadion aufgehangen und die Spielertrikots wurden auf Wunsch mit einer kleinen schwarzen Eins beflockt und zusammen mit Theresa Enke sowie dem DFB und der DFL wurde die
Robert-Enke-Stiftung gegründet.
Man hat in der Zeit weiterhin die Spiele verfolgt, jedoch mit einem ganz anderen Gefühl. Es waren nicht mehr die Fußballmillonäre die auf dem Platz kickten sondern es waren Menschen. Wie oft hatte man hier im entsprechenden Thread gelesen, wie leise die heimischen Fans doch sind, das keiner Mitsingen würde und die Stimmung eher mau sei. Aber in der Rückrunde 2010 sah es auf einmal ganz anders aus. Der Sitznachbar neben einem schrie nicht mehr lauthals: "Idiot, Spiel doch den Ball ab!" sondern man unterstütze die Spieler auch wenn sie mal Fehler machten - über die vollen 90 Minuten.
Hannover 96 sah darin eine einmalige Chance der Kundenbindung und es gelang denen auch. Große Plakate wurden in der Region Hannover aufgehängt und es wurden viele Postkarten verteilt: "Gemeinsam für die 1. Liga!"
Es wurden T-Shirts rausgebracht mit einem Spruch, den die Fans Wochen zuvor mehrfach skandierten: "Du wirst niemals untergeh'n!"
Die ganze Stadt und die gesamte Region sprach mehr von Hannover 96 denn je. Der Rückrundenstart lief zwar nicht erfolgreich und nicht jeder war vom erneuten Trainerwechsel in der Saison begeistert, aber die Hoffnung war da, insbesondere nach dem 4:2 Heimsieg gegen Schalke 04 im eigenen Stadion. Von Spieltag zu Spieltag rechnete man immer wieder, wie viele Punkte noch notwendig sein müssten, selbst die Leute, die mit Fußball sonst nichts am Hut hatten beteiligten sich plötzlich an diesen Diskussionen.
Der letzte Spieltag bleibt für viele von uns noch sehr im Gedächtnis. Jeder wollte plötzlich nach Bochum, man versuchte noch verzweifelt an eine Karte ranzukommen, andere hatten Glück und bekamen eine Freikarte von Martin Kind und Oliver Pocher, die ebenfalls ein Zeichen setzen wollten. Am Ende wagten ganze 12.000 (!) Fans die Auswärtsfahrt in den Ruhrpott - solch eine Zahl hat es die letzten Jahre nie gegeben. Für viele Fans war es die erste Auswärtsfahrt und gleichzeitig ein ganz besonderes Erlebnis. Die organisierten Fans sowie der Verein verteilten tausende T-Shirts an einige der mitgereisten Fans: "Gemeinsam für die 1. Liga!"
Der Rest ist bekannt. Man gewann 0:3 und wildfremde Menschen lagen sich in den Armen und sangen Fanlieder. Am Hauptbahnhof Hannover wurde nach Eintreffen des ersten Fanzuges kräftig gefeiert und man marschierte zusammen in Richtung Stadion, wo die Fans die Spieler feierten und die Spieler die Fans feierten.
Hannover 96 hat in den letzten Monaten versucht die Distanz, die sich zwischenzeitlich zwischen dem Verein, der Marke, der Kundschaft und den Fans aufgebaut hatte zu verkürzen und für einen Teil der Bevölkerung hat 96 es auch geschafft. Das Vokabular hat sich verändert: "Wir", "Gemeinsam", "Heimstärke zeigen", "Danke an die Fans", sogar vom "Glaubensbekenntnis" spricht man ganz aktuell, siehe die Volksbank-Werbung ganz oben hier im Forum:
Ein junger Mann mit Kapuzenpullover, Kappe und einem Schal der mit "festem Glauben" ohne übertriebene Miene Richtung Horizont blickt. Im Vergleich zu manch anderen Bildern wirkt dieses ziemlich authentisch und kommt glaubhaft rüber. Überhaupt hat der Glaube eine große Rolle gespielt in der letzten Zeit. Der Glaube an die Mannschaft, der Glaube an die Spieler, der Glaube an den Klassenerhalt. Ich denke, dass man mit diesem Stilmittel viele Leute erreichen kann. Selbst wenn nicht jeder Mensch religiös ist, an etwas glauben tut jeder - und wenn es am Ende nur Hannover 96 ist.
Und natürlich: "Tradition". Letzteres wurde in den letzten zwei Wochen stark propragiert in Bezug auf die neuen Trikots und in der Tat war und ist es ein sehr heiß diskutiertes als auch umstrittenes Thema. Ebenso findet man jetzt auch
Legendäre Geschichten auf der Vereinsseite, wo auf die Historie hingewiesen wird, auf die Geschichte, auf die Tradition.
Ich denke langsam haben die Verantwortlichen von Hannover 96 verstanden, wie der Wind in Hannover, unserer Stadt zu wehen hat. Auch wenn ganz und gar nicht ein nobler Gedanke dahintersteckt sondern es knallhart ums Geschäft geht, wenn der Verein, unser Verein diese Marketingstrategie weiter beibehält bzw. noch weiter ausbaut schaffen die es noch so manchen Zweifler für die Roten, unsere Leidenschaft zu begeistern und diese zu bekehren:
Vom Kunden zum Fan.