5 Punkte aus den letzten drei Spielen der Saison sind ein versöhnlicher Abschluss einer komischen Saison, die geprägt ist von sportlichen Kuriositäten, dem Umbruch auf dem Rasen und in der Kurve und dem Gefühl, als Fan von Hannover 96 irgendwie aus der Zeit gefallen zu sein. Hier ist mein persönlicher Jahresrückblick:
JanuarGanz Fußballdeutschland ist neugierig auf Tayfun Korkut, der neuerdings bei Hannover 96 wirbelt. Der Trainingsauftakt schafft es sogar in die Tagesschau. Wind- und Sturmkalauer prägen die Winterpause. Selbst der Platzwart serviert Windbeutel bei der Winterpausenlesung.
Den Auftakt der Rückrunde erleben wir in Lübeck an einem klirrend kalten Wochenende, dass sogar die Ostsee gefrieren läßt. Uns ist warm: plötzlich geht auswärts. Gegen die Wölfe. Mit Rudnevs.
Februar3 Spiele, 8 Gegentore, 0 Punkte. Das ist die Ausbeute im Februar. Ist der Tayfun nur ein Sturm im Wasserglas?
MärzAuswärtsfahrt nach Berlin. Wieder schlechtes Wetter, wieder nichts von Berlin gesehen, wieder drei Punkte im Gepäck. Fußball macht wieder Spaß.
Leider hält das Glücksgefühl nur bis zur nächsten Woche. Dann kommt der BVB, wirbelt unsere Abwehr durcheinander und klaut die Punkte. Die Verwandtschaft aus Dortmund, extra zum Spiel angereist, bedankt sich für das besonders schöne Wochenende. Wir werden uns revanchieren, das ist mal klar. Die anderen grinsen nur.
AprilDas anstehende Derby zwischen Hannover und einer Kleinstadt an der Grenze zu Sachsen-Anhalt beschäftigt Monate im Vorfeld schon alle – Fans, Vereinsoffizielle, DFB, Medien, die Polizei, Busunternehmen und jede Menge Anwälte. Nur die Spieler läßt das ganze drumherum einigermaßen kalt. Immerhin geht es gegen den Tabellenletzten, das sollte wohl zu schaffen sein für Diouf & Co.
6. April 2014. Null zu Drei gehen die Roten unter.
Berücksichtigt man die Statistik, wird sich Peine-Ost jetzt die nächsten 20 Jahre als Derbysieger fühlen dürfen. Tayfun Korkut und die Mannschaft beantragen wie einst Quasimodo vor den aufgebrachten Fans Kirchenasyl in einem Kloster.
Eine Woche später: Drei Tage Klosterdisziplin (und Klosterkost) zeigen Wirkung. Geht doch.
MaiB&B-Reisen und Wuchtbully-Tours reisen gemeinsam in großer Besetzung nach Nürnberg zum Auswärts-Saisonfinale. Unser Sieg schießt gleichzeitig den FC Nürnberg in die 2. Liga. Wir lassen das Wochenende nach dem Spiel in der „Blauen Nacht“ ausklingen. In Franken ist es kalt, eigentlich zu kalt für Bier im Freien. Unsere Herzen sind schwer, als wären wir selbst abgestiegen. Wir wissen es noch nicht, aber für einen von uns ist es die letzte Auswärtsfahrt.
Eine Woche später wird beim letzten Heimspiel eine Ikone verabschiedet. Steven Cherundolo beendet nach 15 Jahren bei Hannover 96 seine Karriere als aktiver Fußballspieler. Er war Sympathieträger, Identifikationsfigur und ein wunderbarer Captain.
Er erhält keine Choreo zum Abschied.
Für mich der absolute Tiefpunkt der Saison.
JuniUnsere „Kleinen“ stehen im Finale der deutschen U19-Meisterschaft. Vor 17.000 Fans (wenn ich mich richtig erinnere) geht es gegen Hoffenheim. Deren Torhymne hallt gleich fünfmal durch unser Stadion und beendet den Traum.
Urlaub in Irland. Die Iren sind ein höfliches Völkchen. Obwohl Irland nicht qualifiziert ist, reden alle mit uns über Fußball. Deutschland habe das Potential, Weltmeister zu werden. Erst als wir widersprechen, rücken sie mit ihren wahren Favoriten heraus: Argentinien oder Brasilien.
An unserem letzten Urlaubstag beginnt die WM. Wir schauen das Eröffnungsspiel in der Hotelbar in Dublin, fluchen gemeinsam mit den anderen Gästen über den geschenkten Elfmeter. Alle sind sich einig, dass Brasilien als Weltmeister bereits feststeht. Die FIFA wird's richten.
JuliDie Fifa ist nicht allmächtig.
Augustyeswecan ist tot. Immer noch unfassbar. Eine Handvoll von uns erweisen ihm die letzte Ehre. Wir hören, dass ihm seine Freunde im Forum Hannover 96 wertvoll und wichtig waren. Wie sehr, war uns bis dahin nicht richtig bewusst. Er war einfach da. Nun fehlt er sehr.
Zum Saisonauftakt steht Stevie nochmal im Mittelpunkt. Bei seinem Abschiedsspiel feiern wir Wiedersehen: aus allen Ecken Europas kommen seine alten Weggefährten, Rote Recken, die teilweise inzwischen längst die Fußballschuhe an den Nagel gehängt haben. Auch einige der gefühlt 96 Trainer, die Stevie in seiner Karriere erlebt hat, sind mit von der Partie.
Das Testspiel gegen Lazio Rom rückt dabei etwas in den Hintergrund, zumal Weltmeister und ewiger WM-Torschützenkönig Klose nur auf der Bank sitzt.
Am ersten richtigen Spieltag merken wir plötzlich sehr, sehr deutlich, dass uns das Lächeln verlassen hat. Nicht nur auf den Trikots, auf denen plötzlich alle Spieler Heinz heißen.
September Auswärtsfahrt in unbekannte Welten. Paderborn. Wir erleben das kleinste Stadion der Liga, enthusiastische Fans und den fulminanten Weitschuss von ex-96er Moritz Stoppelkamp aus nächster Nähe. „Jetzt muß Zieler aber rennen“, hab ich noch gedacht, da war er schon drin. Der Ball. In unserem Tor. Der Himmel weint, als wir das Stadion verlassen.
Später wird – wenn man das Fußballthema ausklammert - der Abend doch noch ganz nett.
Im September gab es nur Auswärtsspiele.
OktoberAuswärts gegen die Bayern. Das andere auswärts gegen Gladbach. Direkt aus dem Urlaub kommend beschließen wir, lieber nicht nach Dortmund zu fahren und das Spiel stattdessen in einer hannoverschen Kneipe zu verfolgen. Am Ende des Spieltags Platz 4 mit negativer Tordifferenz. Das hat vor uns auch noch keiner geschafft. Die Dortmunder melden sich nicht mehr.
NovemberAuswärtsfahrt nach Berlin. Wegen Streik Anreise mit Auto statt Bahn, prima Wetter, viel Zeit zum Stadtangucken und Mauerpiez mitfeiern. Also alles ganz anders als sonst, das kann nicht gut gehen. Geht’s aber. Mit drei Punkten, bereits am Freitag eingesackt, geht man das Wochenende doch gleich noch etwas beschwingter an.
Wenn man im Olympiastadion direkt neben der Kurve sitzt, hört man ab und zu auch mal einen „Hannover“-Ruf. Die Fans auf dem entgegenkommenden Ausflugsboot am nächsten Tag sind besser zu hören.
Mehr ist fußballerisch zu diesem Monat nicht zu sagen.
DezemberSeit Mitte November ist Lars Stindl wieder an Bord. Alle reden von fußballerischer Klasse, attraktivem Spiel etc. Fällt nur mir auf, dass wir seitdem in vier Spielen 13 Tore kassiert haben – mehr als in den 11 Spielen davor zusammen?
Mitte des Monats flattert mit der Post der neue Fanshop-Katalog ins Haus. Im Vergleich zur letzten Ausgabe ist er sehr nüchtern – der Bezug zu den Fans fehlt völlig. Keine Choreo-Bilder mehr, keine Interviews mit Fans, nur noch Sachlichkeit. Das reißen auch die Spieler nicht raus, die wie immer die Kollektion modeln. Und es gibt immer noch keine Reisetasche mit Rollen.
Ich gebe zu, beim letzten Katalog habe ich mich noch über die Doppelmoral geärgert, mit der die Choreo-Highlights der ach so verteufelten Ultras großformatig über die Seiten verteilt wurden. Aber jetzt fehlt mir doch was.
Was noch auffällt: mit Ausnahme des Heimtrikots und einem dazu passenden Schal vom Ausrüster Jako ist die Farbe rot vollständig aus dem Sortiment verschwunden. Selbst der neue Gartenzwerg (mit Ernst-August Reiterstandbild, limitierte Auflage) trägt schwarz-weiß-grün.
Sind wir nicht mehr die Roten?
Gegen Bremen findet sich eine Gruppe engagierter Fans, die Stimmung machen wollen. Einigermaßen erfolgreich, wie man hört. Auch im letzten Heimspiel ist sowas wie Stimmung im Niedersachsenstadion, sogar der Walzer schwingt durch das Rund. Die Augsburger haben nur eine Busladung voll Fans mitgebracht, aber selbst die sind gut zu hören, wenn die Hannover-Fans sich auf das Spiel konzentrieren.
Zum ersten Mal seit zwei Jahren sind wir mit dem Singen der „Alten Liebe“ fertig, bevor die Spieler auf den Platz kommen. Aber Einlaufmusik zum Anheizen? Fehlanzeige.
Gülselam wird bei der Einwechselung mit Pfiffen begrüßt. Er wird nie mein Lieblingsspieler sein, aber das geht zu weit. Zum Glück ist die Nordkurve sich einig und kontert dagegen. Mit einem Sieg in der Tasche treffen wir uns zur letzten Analyserunde des Jahres im Courtyard. Nicht unzufrieden, aber irgendwie froh, dass das Fußballjahr 2014 jetzt vorbei ist.
2015 gehen wir wieder hin.