In einem neuerlichen Anfall von Sentimentalität mache ich hier mal einen Thread auf für die wirklich Großen unseres Lieblingssports. Den Titel verdankt er dem Tod eines der größten Spieler überhaupt, den es gar nicht genug zu würdigen gibt: Lothar Emmerich!
Emma, für Fans von Frank Zappa auch
Big Leg Emma, hat Fans quer durch die Republik vereint. Wer hat sich 1966 nicht gesagt:"Was hat
unser Emma denn da für ein Tor geschossen?!?".
Aber warum soll ich mich hier lange mit Geschwafel aufhalten, in der SZ sind heute mehrere hervorragende Artikel erschienen, die ich ganz bewusst unter den jeweiligen Autoren poste. Es scheinen mir mehr persönliche Abschiedsbekundungen als journalistische
Arbeit zu sein.
Freddie Röckenhaus hat geschrieben:
Linke Klebe, Winkel unmöglich
Lothar Emmerich war der größte Stürmer, den Borussia Dortmund je hatte – er und seine Kameraden haben den Mythos BVB erschaffen, von dem der Klub lebt
Dortmund – Natürlich gibt es dieses Tor, das ihn berühmt gemacht hat. Das WM-Tor gegen Spanien, für das der Begriff „unmöglicher Winkel“ erst geprägt wurde. Im Hochsommer 1966 war das, am 20. Juli in Birmingham. Lothar Emmerich donnerte den Ball von der Außenlinie zum 2:1 unter die Latte. Und Emmerich war für ein paar Tage der berühmteste Stürmer der Welt. Ein Tor, beinahe so berühmt wie das Wembley-Tor, das zwei Wochen später den Weltmeistertitel vermasselte – für Deutschland und für Emma, wie ihn jeder nannte.
Aber dieses Tor zählt nur am Rande. Für einen Dortmunder zählen die Tore für den BVB. Und deshalb werden sie an diesem Samstagnachmittag, wenn Szenen aus dem Leben des größten Torjägers, den der BVB je hatte, auf der Videowand des Westfalenstadions flimmern, an West Ham United denken: Flutlichtspiel in London, viel zu spät abends. Kleine Jungs wie wir standen damals auf dem heimischen Sofa, mit roten Wangen, und starrten in den Schwarzweiß-Fernseher. Europacup-Halbfinale, noch zwei Minuten zu spielen, 1:0 für den Favoriten (und Titelverteidiger) West Ham. Und dann kam Emma, so wie wir ihn kannten. Oder kennen wollten. 88. Minute: Vorlage Held, Torschütze Emmerich. 90.Minute: Vorlage Held, Torschütze Emmerich. 2:1 für den BVB. Seitdem gab es keine anderen Helden mehr.
Held und Emmerich, für die Presse in England waren sie nur noch „the terrible twins“, die schrecklichen Zwillinge. Und Emmerich war zu der Zeit so überlebensgroß für kleine Fußballer in Dortmund, dass man sich beim Kick auf der alten Bunkerwiese nicht mal mehr traute zu sagen: „Ich bin jetzt Emma!“ Ebenso gut hätte einer sagen können: „Ich bin der liebe Gott.“ Wir konnten damals nicht wissen, dass der Bergmannssohn Emmerich immer auf dem Boden geblieben ist.
In den letzten sechs Monaten seines Lebens hat Lothar Emmerich sehr brutal zu spüren bekommen, dass niemand überlebensgroß ist. Was er im letzten November für eine starke Erkältung hielt, stellte sich bald als Lungenkrebs heraus. Zunächst hat Emma, seit 1999 als „Fan-Beauftragter“ wieder offiziell in Diensten des BVB, den totalen Optimismus herausgekehrt: „Ich spüre richtig, wie die Chemikalien den Krebs kaputtmachen“, kommentierte er unermüdlich seine insgesamt sechs Chemotherapien in nur sechs Monaten. Zwischendurch kreuzte Emma beim Training der aktuellen Profitruppe auf. „Erst als er vor ein paar Wochen die Diagnose bekam, dass nun auch Metastasen im Kopf festgestellt wurden“, erzählt sein ehemaliger Mannschaftskamerad Aki Schmidt, in den letzten Jahren gemeinsam mit Emma im Fanbetreuer-Einsatz für den BVB, „hat er resigniert.“ Er wurde nur 61.
Von 1960 bis 1969 hat Emmerich beim BVB gespielt, kam aber vom Stadtteil-Klub SC Dorstfeld 09, dessen Sportplatz „Bummelberg“ am Rande der Zechensiedlung liegt. 1963, als Dortmund letzter Deutscher Meister in einem Endspiel wurde, musste er noch zuschauen, weil ihm Timo Konietzka, ebenfalls Bergmannssohn, im Weg war. Erst als sein kongenialer Partner Sigi Held 1965 zum BVB kam, ging die Post für Emma richtig ab. Ab sofort wurde für ihn der Begriff „linke Klebe“ aufgelegt. Mit unglaublicher Wucht donnerte er die Vorlagen seines Kumpels Held in gegnerische Tore. 31 Mal in der Saison 1966, als Dortmund zwar als erste deutsche Mannschaft den Europapokal gewann, der BVB aber nur Zweiter hinter München 1860 wurde. Ironie des Schicksals, dass sie Emmerich vor dem Spiel gegen denselben Gegner nun für immer verabschieden.
Emmerich wurde zweimal Torschützenkönig, und er kanonierte weiter. Er traf 135 Mal in 183 Spielen für die Borussia. Eine Trefferquote, die nie wieder ein Stürmer in Dortmund schaffte. Doch während die berühmte Generation des damals neuen Rivalen FC Bayern, Beckenbauer, Müller oder Maier, den unaufhaltsamen Aufstieg der Münchner begründete, zerfiel das Dortmunder Team. Der amateurhafte Vorstand des BVB schaffte den Kurswechsel ins aufkommende Profitum nicht. Selbst Stars wie Emmerich und Held ließ man gehen. Emma tingelte noch zwölf Jahre in Belgien, Österreich, später in der 2. und 3. und 4. Liga, bei Klubs wie Eintracht Bad Kreuznach oder Schweinfurt 05 – bis 1981. Das hat ihm im Vergleich zu heute nicht das große Geld eingebracht – aber „man muss nehmen, was man kriegen kann“, hat sich Emma gesagt. Die Doppelhochzeit von Sigi und Emma (die zwei Freundinnen aus Helds Geburtsort Marktheidenfeld heirateten) wurde deshalb als erste „Promi-Trauung“ exklusiv an eine Illustrierte verkauft.
Dortmunds größtes Idol war stets einer, den jeder mochte. Er hat nach seinen Wanderjahren eifrig für die Traditionsmannschaft des BVB gekickt. Aber ein wenig hängt doch die Aura des Vergeblichen, des Unvollendeten über Emmerichs Laufbahn. Außer einem Pokalsieg und dem Europacup-Triumph von 1966 hat Emmerich nie große Titel gewonnen.
Seine Ära war die des Übergangs vom Halbprofi zum Big Business. Zu jener Zeit war Dortmund noch grau vom Kohlenstaub – und einer, der von hier kam, musste ein Verlierer bleiben. Emma und seine Kameraden haben dennoch den Mythos BVB erst geschaffen, den die heutige Generation als „Marke BVB“ nutzen kann. Ohne Typen wie Emmerich wäre Borussia heute möglicherweise ein Klub wie viele andere. An diesem Samstag werden deshalb viel mehr Tränen als Schweiß fließen. An solchen Tagen ist das Ruhrgebiet wie zu Emmas großen Tagen: sehr, sehr sentimental. Und von großer Wucht.
Auch Helmut Rahn ist diese Woche von uns gegangen, wer wird ihn je vergessen können!? Allein die Radioraportage von Herbert Zimmermann hat ihn (für mich jedenfalls) unsterblich gemacht:
Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen...Rahn schießt...TOOOOR...TOOOR...TOOR..TOOOR!Die erste WM ist für mich immer noch die schönste!
Zum Abschied das Interwiew mit Sönke Wortmann, dem Regisseur des Filmes "Das Wunder von Bern":
Zitat:
„Diese Lebensleistung ist ja nicht mehr zu übertreffen“
Der Film-Regisseur Sönke Wortmann über Helmut Rahn, die Generation von 1954 und was davon bis heute bleibt
Vor 15 Jahren begann Sönke Wortmann, 43, darüber nachzudenken, „Das Wunder von Bern“ zu realisieren, einen Film über die Fußball-WM 1954. Fast vier Jahre arbeitete der Regisseur von „Kleine Haie“ und „Der bewegte Mann“ am Script. Im Juli 2002, in der Woche von Fritz Walters Tod, begann er mit den Dreharbeiten. Zwei Tage nach der Weltpremiere des Films in Locarno (und acht Wochen vor dem deutschen Kinostart) starb Helmut Rahn in der Nacht zum Donnerstag im Alter von 73 Jahren. Im Interview äußert sich Wortmann über die Bedeutung des Stürmers – für Rot-Weiß Essen, für den Film und für das Leben des Regisseurs.
SZ: Herr Wortmann, könnten Sie Schillers „Glocke“ genau so flüssig rezitieren wie die Passage aus Herbert Zimmermanns Radio-Reportage von Helmut Rahns 3:2 gegen Ungarn?
Wortmann: Von der „Glocke“ würde ich nicht einmal mehr zwei Zeilen zusammenkriegen. „Die Glocke“ habe ich auch nicht verfilmt, Zimmermann hingegen habe ich hunderte Male gehört, vor dem Film dutzende Male, und jetzt, durch Schnitt und Mischung, immer hin und zurück, kann ich das fast auswendig.
SZ: Die Engländer haben in einer Studie behauptet, dass bei den Deutschen Schiller, Goethe und die Rahn-Reportage fast auf einer Stufe stehen.
Wortmann: Das wundert mich nicht. Fußball ist Massenunterhaltung, es ist ja auch leichter zugänglich als Goethe, und das Ereignis war wirklich prägend: Die Leute, die es im Radio oder im Fernsehen erlebt haben, wurden davon so umgehauen wie später nur noch vom Kennedy-Mord. Jeder weiß, wo er damals war. Ich weiß, wo ich war, als Schalke vor zwei Jahren doch nicht Meister wurde, aber das ist nicht zu vergleichen.
SZ: Wann sind Sie selbst der Reportage und damit Rahn erstmals begegnet?
Wortmann: Als ich sieben oder acht Jahre alt war, aber da habe ich die Bedeutung nicht verstanden. Die sozialpolitische Wichtigkeit habe ich erst mit 17, 18 überrissen, in meiner linksradikalen Zeit – und da fand ich es natürlich Scheiße. Nicht den sportlichen Erfolg, sondern den ganzen Taumel danach.
SZ: Wann war Ihnen klar, dass Rahn fußballerisch im Mittelpunkt vom „Wunder von Bern“ stehen würde?
Wortmann: Relativ früh. Aus filmischer Sicht hat er natürlich die meisten Ecken und Kanten, er war das enfant terrible in der Mannschaft. Er war ja auch mal wegen Trunkenheit am Steuer im Knast. Er hat gerade auch in den Fünfzigern Widerworte gegeben, war unbequem. Dass er dann die entscheidenden Tore schießt – und das nach einem 0:2-Rückstand, gegen eine Mannschaft, die seit viereinhalb Jahren nicht verloren hat –, wenn das nicht passiert wäre, und man kriegt das als Drehbuch, dann würde man sagen: „Na ja, ne, komm, mach mal ein bisschen halblang.“ Sein Leben ist wie von Hollywood erfunden.
SZ: Inwieweit konnte man nachforschen, wie ausgeprägt seine Ecken und Kanten waren?
Wortmann: Helmut Rahn lebte ja seit vielen Jahren sehr zurückgezogen. Er hat keinen an sich herangelassen, auch mich nicht. Das habe ich sehr bedauert, und jetzt bedauere ich noch mehr, dass er den Film nicht mehr sehen kann, wie Fritz Walter, der starb, genau als wir die Fußball-Szenen gedreht haben. Wir haben natürlich mit den anderen geredet, Horst Eckel vor allem, und es war wohl tatsächlich so, dass die sich außergewöhnlich gut verstanden haben. Es war eine verschworene Truppe. Ich habe natürlich gehofft, dass das alles vom Menschlichen her ein bisschen schwieriger gewesen wäre, dass Helmut Rahn vielleicht Fritz Walter nicht ausstehen konnte oder umgekehrt und die beiden gezwungen waren, auf einem Zimmer zu sein. Ich musste einen Konflikt erfinden, damit man da etwas Saft rauspressen kann. So dass, als Rahn sich tatsächlich etwas zu Schulden kommen lässt, der Herberger ihn eigentlich hätte rausschmeißen müssen. Als Rahn während der WM nachts einen saufen geht, weiß man, dass es ihn den Kragen kosten kann.
SZ: Alles ist weitgehend authentisch?
Wortmann: Weitgehend. Bei dem Thema, das wusste ich schon vorher, da gucken alle genau hin; Fußballer sowieso, aber auch die sechs Millionen deutschen Bundestrainer.
SZ: Sie haben Ende der Siebziger Ihr Geld als Fußballer verdient. Haben Sie von einem Leben wie dem Rahns geträumt, oder wussten Sie, dass Sie da nie hinkommen würden?
Wortmann: Das war mir bald klar. Deshalb habe ich auch ziemlich früh mit dem Fußball aufgehört.
SZ: Aber Sie haben das entscheidende Tor zum Zweitliga-Aufstieg der SpVgg Erkenschwick erzielt.
Wortmann: Das war aber auch mein einziges Tor in der gesamten Saison. Das war eines meiner schönsten Erlebnisse, immerhin vor 8000 Zuschauern: Eben war der Ball noch am Fuß, dann ist er im Netz. Unmöglich, das sofort zu kapieren.
SZ: Die Legende sagt auch, dass Rahn erst viel später, beim Anhören von Herbert Zimmermanns Reportage, klar wurde, was er da vollbracht hatte.
Wortmann: Er soll vor Rührung geheult haben. Das ist es ja: Wenn mir das schon so einen Kick gegeben hat in der Amateur-Oberliga, wie muss es dann sein, wenn man Weltmeister wird? Die Fußballer, mit denen ich wegen des Films geredet habe, haben bestätigt, dass sie das alles nicht direkt begriffen haben. Rudi Völler hat gesagt: „Deutsche Meister werden jährlich neu gekürt – aber Weltmeister bleibt man sein Leben lang." Und dementsprechend wurden Fritz Walter und Helmut Rahn auch behandelt.
SZ: Rahn wirkt im Film wie die sympathischere Variante von Mario Basler.
Wortmann: Das ist ein Kompliment für Basler, auch wenn ich den ganz gut leiden kann. Ich hatte ja zweimal das Vergnügen, gegen Basler in Wohltätigkeitsspielen antreten zu dürfen – und in der Halbzeitpause rauchte der erst mal eine. Rahn und er waren sicher wesensverwandt: Typ schlampiges Genie.
SZ: Rahn hat ein WM-Finale entschieden. Hätte er noch mehr aus seinem Talent machen können?
Wortmann: Sicher, aber wenn du ein WM-Finale gewinnst und an drei Toren beteiligt bist – diese Lebensleistung ist ja nicht mehr zu übertreffen. Ähnlich faszinierend ist nur die Ronaldo-Geschichte, der bei der WM 1998 – aus welchen Gründen auch immer – im Finale versagte. Vier Jahre später ist er wieder da und macht beide Tore. Deshalb: Ja, Rahn hätte mehr machen können, aber vielleicht hätte er sich dann vor Ehrgeiz nicht richtig warm gemacht und sich eine Zerrung geholt.
SZ: Rahns Siegtor hat zugleich die Vormacht der Ungarn im Fußball beendet. Ein Journalist hat diese immer wiederholten Bilder vom 3:2 mal mit den Aufnahmen des Amateurfilmers Abraham Zapruder von der Ermordung Kennedys verglichen. Sekunden, die einen historischen Einschnitt festhalten.
Wortmann: Was ein Spiel, ein Tor alles ändern kann. Deutschland kam damals aus dem Nichts, und die Ungarn waren hoch favorisiert. Und dann treffen die sich an einem bestimmten Tag, und die Lebenswege der Mannschaften, der Länder gehen wieder genauso weit auseinander. Es gibt ein paar clevere Leute beim DFB, die sagen, ohne das Finale 1954 wäre Deutschland wohl nie Weltmeister geworden. Da ist etwas entstanden, was es heute noch gibt: dass eine deutsche Nationalmannschaft nie aufgibt.
SZ: Außer unter Erich Ribbeck.
Wortmann: Aber jetzt ist dieses Gefühl wieder da, fast wie damals. Denn wer wird vergessen, wie die Deutschen 1982 das 1:3 in der Verlängerung gegen Frankreich aufholten? Ich saß damals am Fernseher und dachte: Kann gut sein, dass die das noch schaffen. Dieser Glaube an sich selbst, diese mentale Stärke, das geht alles auf 1954 und Helmut Rahn zurück.
Interview: Milan Pavlovic
Es geht hier aber nicht nur darum, für die Großen unserer Zunft ein virtuelles Denkmal zu schaffen, mich interessieren Geschichten aller Art zu Fußballern, die man reinen Gewissens als
Persönlichkeiten bezeichnen kann. Vielleicht ein Nachfolger des
Nostalgiethreads, für uns Ältere zur Wiedergabe, für die Jüngeren zum Schmunzeln und (Fußball-) Geschichte lernen...