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dieser Woche war der unten wiedergegebene, wie ich finde sehr interessante Artikel, der nur oberflächlich um den FC Chelsea geht. Die Frage ist vielmehr: welche Richtung nimmt das Spiel? Wird es künftig vom Modell Chelsea oder vom Modell UEFA bestimmt? Was meint Ihr?
Zitat:
Freunde des Fußballs
Von Matthias Matussek
Nicht Chelsea Londons Trainer José Mourinho ist der Skandal, sondern die Uefa-Bürokratie, die ihn zum "Feind des Fußballs" erklärt hat.
Chelsea-Trainer Mourinho: Erfolgreich, verwöhnt, skrupellos
Schon das spricht für José Mourinho, seit zehn Monaten Trainer beim FC Chelsea London: Lange hat es keiner mehr geschafft, so vielen Leuten in so kurzer Zeit auf die Nerven zu gehen.
Ein düsterer Dandy, der da aus dem europäischen Stadionnebel getreten ist, arrogant im grauen Armani-Mantel, erfolgreich, verwöhnt, schlecht gelaunt.
Wenn er mal jubelt, dann vor der Bank des gegnerischen Trainers, mit der größtmöglichen Gehässigkeit. Mourinho zeigt Fußball als permanente Schlacht, auch jenseits der Linien. Die Schlacht beginnt dort erst. Er hat eine ganze Menge gejubelt in letzter Zeit.
Jetzt soll er ausgejubelt haben. Fürs Champions-League-Match gegen Bayern München am Mittwoch und für das Rückspiel eine Woche später hat ihn die Uefa auf die Tribüne verbannt. Am liebsten würde sie ihn ganz exilieren. Zurück in jenes Planetensystem, aus dem er stammt.
Mourinho hatte sich über Kontakte zwischen Schiedsrichter Anders Frisk und dem gegnerischen Trainer in der Achtelfinalpartie gegen Barcelona beschwert. Normalerweise hört man da beide Seiten, und dann wird die Sache begraben.
Hier nicht. Hier wurde eine Verhandlung anberaumt und Mourinho schon vorher von Uefa-Sprecher William Gaillard zum "Lügner" erklärt. Und, derber noch, zum "Feind des Fußballs".
Es hat sich da offenbar einiges angestaut bei den Freunden des Fußballs.
Schaut man sich die näher an, kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Trainer Barcelonas ist der berüchtigte Frank "Spuck-den-Rudi" Rijkaard, und Vorsitzender des angeblich unabhängigen Uefa-Disziplinarausschusses ist Josep Lluís Vilaseca Guasch, ein bekennender Barcelona-Fan, Club-Mitglied seit Jahrzehnten.
Das unübersichtliche Stadion Nou Camp überdies weist eine pikante Seltsamkeit auf: Die Umkleidekabine der Heimmannschaft hat eine zusätzliche Tür, die sich zum streng verbotenen Bereich der Unparteiischen öffnet.
Die Uefa spielte sich, wie gewohnt, als Ermittler, Ankläger und Richter gleichzeitig auf, und sie wollte den Schuldspruch. Fair? Ganz sicher nicht, und angesichts solcher Freunde des Fußballs kann man sich einen Feind wie Mourinho nur wünschen.
Schiedsrichter Frisk*: Fußball als permanente Schlacht
Der wahre Grund für seinen Ausschluss, das ist klar, ist ein anderer. Die Uefa trommelt sich auf den Brustkasten, um sich als größter Gorilla auf der Lichtung zurückzumelden.
Denn Mourinho verkörpert all das, was die Uefa verabscheut. Geld, Macht, zunehmende "Amerikanisierung" (Gaillard) des Gladiatorenbetriebs Fußball. Er ist tatsächlich ein Outlaw. Er legt Strukturen frei. Er erfindet derzeit das Spiel neu. Er verachtet die ranzigen Hinterzimmer-Säcke des alten Systems und macht das deutlich.
Was früher das Theater vermochte und heute noch ab und zu dem Kino gelingt, schafft der Fußball mühelos. Die Arena kreiert neue Rollenspiele, neue Hierarchien.
Mourinho ist der Coach des Hyperkapitals. Die Tribüne, auf der er nun Platz nehmen muss, ist in seinem Falle natürlich viel angemessener als die Trainerbank. Endlich wird der Blick dorthin gelenkt, wo Chelseas Erfolg entschieden wird. Nicht unten, sondern oben. Die Tribüne ist der Platz der Imperatoren, der Platz neben Chelsea-Eigentümer Roman Abramowitsch.
Beide sind sie geschichtslose Einzelne, Glücksritter, die gegen die eingesessenen Zünfte und Verbände und Trusts des vorigen Jahrhunderts antreten.
Mourinhos Gegner: die Groschen-Presse, die er dumm nennt ("Haltet das Maul"), die Vereine, die er provoziert ("Wir werden Meister"), das vulgäre Publikum und seine Götzendienste, die er ironisiert ("Ich komme gleich nach Gott"), nun die Uefa und ihre Bürokraten.
Der Einzige, den Mourinho respektiert, ist Abramowitsch. Sie sind sich ähnlich. Beide gerade um die 40, beide skandalfrei, beide skrupellos. Wahrscheinlich, sagen die Leute, hängen sie nachts nebeneinander in einer Höhle.
Der russische Ölmilliardär hatte sich Chelsea vorletztes Jahr gekauft und eine halbe Milliarde Euro investiert, weil er einen erfolgreichen Verein vor der Haustür haben wollte. Es ist die Zeit der grenzenlosen Käuflichkeit - kürzlich soll sich Abramowitsch, der stumme Lächler vom Polarkreis, positiv über die Themse geäußert haben.
Das ist die eigentliche Provokation, mit der die Leute Schwierigkeiten haben: Chelsea ist die Zukunft des Fußballs im globalen Freibeuter-Kapitalismus. Chelsea, das sind geostrategische Geldströme, die sich neue Anlageformen suchen und dabei den Fußball revolutionieren.
Vom 1905 gegründeten Verein blieb nur noch die Hülle mit dem Traditionsnamen.
Der Rest ist neu und geruchsfrei. Das System Mourinho hat keine Stars, sondern mannschaftsdienliche, auswechselbare Hochleistungsteile, die verschleißfrei und niederschmetternd erfolgreich arbeiten. Er führe den Verein, sagt er, wie Bill Gates Microsoft führt.
Das Betriebssystem Mourinho konfiguriert schwankende Talente wie Joe Cole zu verlässlichen Nationalmannschaftswundern hoch, was ein absolutes Nebenprodukt ist, denn hier geht es nur um Chelseas Erfolg. Das Team ist defensiv hellwach, spielt nicht immer schön, aber effektiv: in 30 Ligaspielen gab es nur 10 Gegentreffer.
Mit den Bierbäuchen und Wappen herkömmlicher Lokalteams hat das alles nichts mehr zu tun. Wenn die Namen Abramowitsch/Mourinho fallen, flackern bei den Traditionalisten die Kerzen, und die Fenster beschlagen mit Frost.
Gegen die beiden sind etwa die sogenannten Galaktischen von Real Madrid nur Action-Figuren aus dem vorigen Jahrhundert, Teddybär-Kram des letzten Konjunkturhochs, langweiligste Trikotverkäuferei, systemimmanenter Plüsch.
Über Ronaldo, Beckham und Co. höhnte Mourinho kürzlich, er brauche keine Galaktischen, sondern Spieler, die "über 60 Partien höchstes Leistungsniveau halten".
Nein, die einzigen Galaktischen des gegenwärtigen Weltfußballs sind Abramowitsch/Mourinho, während ihre hochbezahlten Angestellten den Carling-Cup gewinnen und die Premier League mit elf Punkten Vorsprung so gut wie im Sack haben.
Dieses Chelsea, so sieht es für die vielen Neider aus, ist geentert worden von Außerirdischen, und die Kinometapher, die sich anbietet, ist natürlich "Men in Black", wo eine Riesenschabe einen Bauern entkernt und in dessen Haut schlüpft. Plötzlich ist der Bauer allen überlegen und tödlich gefährlich, aber die enge Hülle zwickt noch ein bisschen, und gelegentlich platzt sie, worauf ein haariger Fühler sichtbar wird und das innere Böse sich zeigt.
Mourinho provoziert gegnerische Trainer, gegnerische Fankurven und boykottiert schon mal eine Pressekonferenz. Oder er trifft sich mit dem abwanderungswilligen Arsenal-Star Ashley Cole verbotswidrig in einem Luxushotel. Nicht schön.
Doch José Mourinho, das sei einmal angemerkt, agiert in England, ergo im Dschungel, wo die wohl vulgärste und unfairste Fußballmeute der Welt wütet, die etwa den Arsenal-Trainer Arsène Wenger, einen Franzosen, regelmäßig mit "Kinderschänder"-Gegröle zu empfangen pflegt.
Das erzeugt eine Menge Druck. Herzkrankheiten, so eine Untersuchung aus jüngster Zeit, kommen bei knapp der Hälfte aller Trainer vor. Und da soll ein Spezialist wie Mourinho nicht ab und zu das Ventil aufdrehen dürfen?
Für Leute wie Mourinho, so der Uefa-Ober-Spießer Volker Roth, gebe es "keinen Platz im Fußball". Wer will das entscheiden, etwa Roth? Nein, nicht Mourinho ist der Skandal, sondern die Uefa.
Eigenartig, je länger man über den Fall Mourinho nachdenkt, umso schmutziger wirken die anderen, und besonders im englischen Vulgärrahmen ist des Portugiesen Effizienz von merkwürdiger Reinheit.
Es ist nicht Mourinho, sondern sein Rivale von Manchester, der Uralt-Coach Alex Ferguson, der sich monatelang mit den Eignern seines Clubs um Rennpferde streitet, während sein Wundertier Wayne Rooney, Wochenverdienst 100.000 Euro, mit Kneipenprügeleien auffällt.
Für Rooneys Bordellbesuche rächt sich seine blonde Freundin bisweilen mit eigenen Kneipenprügeleien oder gelegentlichen Shopping-Trips nach New York, von wo sie dann stolz in pinkfarbenen Jogging-Anzügen und Hüttenschuhen aus Fell zurückkehrt.
Nirgendwo sonst in der Welt ist Fußball so unterhaltsames Unterschichten-Programm wie auf der Insel, eine ständige Neureichen-Glotze, in der kein Auge trocken bleibt.
Fußball ist Lifestyle mit eigenen Serien wie "Footballers' Wives" und eigenem Vulgäradel wie Beckham und Posh, die sich bei Madame Tussaud als Josef und Maria verewigen lassen und als Taufpaten ihres Neugeborenen die spirituell gefestigten Unterschichten-Idole Elton John und Liz Hurley verpflichten.
Kann es einen sichereren Start in ein unglückliches Leben geben? Die Leitkultur der Fußballwelt ist nun mal der Trash und die Travestie aller Tugenden in niedere Instinkte, in Raffgier, Sex und Krawall.
Mourinho übrigens hat ein skandalfreies Familienleben, das er sorgsam abschirmt. Darin ist er Abramowitsch ähnlich. In einem Land, in dem selbst schwedische Leihkräfte wie Nationaltrainer Sven-Göran Eriksson Bettgeschichten in Serie ausschwitzen, sind die beiden Mönche.
Nein, Mourinho/Abramowitsch sind Avantgarde, und aus deutscher Sicht lässt sich nur schwermütig seufzen darüber, dass die eisigen Milliarden den englischen Fußball suchen, um ihn aufzumischen, und nicht den deutschen, wo osteuropäisches Kapital nur in Form der hinterwäldlerischen kroatischen Wett-Mafia vertreten ist.
Und die trifft sich dann mit ihren Klienten nicht in noblen Hotels, sondern in Charlottenburger Kneipen, und das einzige Innovative, was dabei abfällt, ist der Plasma-Fernseher, den sich einer aus der Zunft der Schiedsrichter wünscht.
Nein, Mourinho ist die Zukunft, und er weiß es, und die Uefa ist machtlos dagegen, selbst wenn sie ihn auf die Tribüne verbannt.
Dass Chelsea gegen Bayern München rausfliegen wird, während die Deutschen in einem begeisternden Finale alten Heldenfußballs gegen einen italienischen Verein die Champions League gewinnen werden, ändert daran überhaupt nichts.
Oder?