Ich bin zwiegespalten.
Zitat:
Express-Rot für motzende Trainer?
Ohne Nachtisch ins Bett
Text: Dirk Gieselmann Bild: Imago
Maaaaaann, doooooooo! Aufbrausenden Trainern könnte ab dem Rückrundenstart der sofortige Platzverweis drohen. Aus Sicht der Schiedsrichter ist das durchaus verständlich. Und doch wird der Fußball damit immer steriler.
Alle Jahre wieder versammeln sich die Schiedsrichter-Granden zur Halbzeittagung in Mainz. Man darf sich diese Zusammenkunft in etwa so vorstellen wie das Neujahrstreffen der CSU in Wildbad Kreuth: Vorfahrende Autos, aussteigende Entscheidungsträger, wehende Lodenmäntel – und jede Menge Entschlossenheit, etwas zu bewegen. Egal was. Dass ja nicht der Eindruck entsteht, man treffe sich einfach so. Der arme Fußball unterliegt einer pausenlosen Evolution, hin zum Besseren, zum Perfekten schließlich. Perfektion mögen die Fans langweilig finden. Für Schiedsrichter ist sie das Paradies.
Nun steckten sie in Mainz die Köpfe zusammen. Auf dem Flipchart standen der Manipulationsskandal, die Einführung des Headsets, die psychologische Betreuung von Unparteiischen und – das stand noch da vom letzten, vorletzten und wahrscheinlich allen Jahren zuvor – das Feindbild Nummer 1: motzende Trainer.
Motzende Trainer sind für die Schiedsrichter in etwa das, was Gabriele Pauli für die CSU war: Sie nerven. Doch im Gegensatz zur fränkischen Amazone, die sich selbst abwickelte, sind die Übungsleiter ein dauerhaftes Ärgernis. Sie beschweren sich permanent, und selbst wenn einer mal einverstanden sein sollte mit einem Abseitspfiff, einer Strafstoßentscheidung oder einer Verwarnung, ist sein gegnerischer Kollege schon auf der Palme.
Es ist das Schicksal der Schiris, dass sie es nie allen recht machen können. Dass Perfektion, selbst wenn sie erreicht wurde, nicht von allen als solche erkannt wird. Ständig ein rumpelstilzchenhaft hüpfender Labbadia im Augenwinkel oder Schaafs geblöktes »Maaaaaann, doooooooo!« im Ohr. Von einem Torwart sagt man, er allein könne nicht gewinnen. Schwerer noch hat es der Schiedsrichter: Er ist allein und kann nur verlieren.
Frühere Schiedsrichtergenerationen wehrten sich gegen diese Sisyphos-Existenz. Perfektion war sowieso nachrangig. Wenn ihnen einer blöd kam, Trainer oder Spieler, suchten sie auch schon mal den Infight. Legendär das Nase-an-Nase-Duell zwischen Keeper Toni Schumacher und dem Unparteiischen Dieter Pauly (nicht verwandt mit Gabriele). Sie waren mehr Ring- als Schiedsrichter, Nickeligkeiten ließen sie durchgehen, nur wenn's richtig krachte, griffen sie ein – immer bereit, sich selbst eine blutige Nase zu holen. Wolf-Dieter Ahlenfelder war die Verkörperung dieses Menschenschlags. Der Mann, der keine Fanta trank, leitete ein Spiel wie ein Kneipier, redete mehr, als dass er lief, und erzählte im Eifer des Gefechts gern auch mal einen Witz zu Entspannung. »En Schiedsrichter kann doch auch mal lachen«, sagt er. »Wenn ich gepfiffen habe, war Friede, Freude, Eierkuchen. Wir haben früher Spaß gehabt.«
Ach! Früher. Man mag diese Zeiten verklären, vorbei sind sie ohnehin. Heute lastet ein ungleich höherer Druck auf den Unparteiischen, ihre Pfiffe entscheiden, wohin riesige Geldmengen fließen. Also müssen sie perfekt sein, auch wenn das umso schwerer zu bewerkstelligen ist. Denn das Spiel ist schneller geworden, die Kulisse bedrohlicher, und die moderne Technik nutzt jede Gelegenheit, ihre Fehler zu beweisen: Wie konnte er das übersehen? Das war doch gleiche Höhe! Maaaaaann, doooooooo!
»Wir wollen keine Trainer, die das Publikum verrückt machen«
Gebrabbel im Headset, Pfiffe von den Kulissen, Akteure außer Band und Band, die Millionen Fernsehzuschauer im Nacken. Und da soll man auch noch den Röntgenblick haben. Nahliegend also, dass in Mainz wieder einmal darüber nachgedacht wurde, wie man dieser Reizüberflutung Herr werden könnte. Als Wurzel des Übels wurden – wer sonst – die Übungsleiter ausgemacht. »Wir wollen keine Trainer, die das Publikum verrückt machen«, so Volker Roth, der Vorsitzende des Schiedsrichterausschusses. »Es kann nicht sein, dass die Zuschauer durch Gesten angestachelt werden.« Und dann: »Wir werden unsere Schiedsrichter einstimmen, konsequent durchzugreifen« Kein Schlagabtausch mehr á la Ahlenfelder und Pauly, keine Diskussion – mit Beginn der Rückrunde können aufbrausende Trainer schneller denn je Rot sehen und auf der Tribüne landen.
»Express-Rot«, nennen es die Schiris, »Parteiausschluss« nennt es die CSU, »ohne Nachtisch ins Bett« nennen es geschlauchte Eltern. Eine Ultima Ratio – Klappe zu, Affe tot. Dass damit der Wandel des Fußballs in Richtung eines sterilen Events weiter voranschreitet, werden die Schiedsrichter als Letzte beweinen. Sie sollen Entscheidungsmaschinen sein und wünschen sich deshalb Laborverhältnisse. Perfektion ist das Ziel, Emotion stört da nur.
»Emotionen tun doch keinem weh«, sagt Wolf-Dieter Ahlenfelder. Wenigstens dieser Satz des Dinosauriers hat noch Bestand. Aber aus anderen Gründen: Es wird eines Tages keine Emotionen mehr geben, die noch weh tun könnten.
Aus 11 freunde
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Da hab ich gedacht, ich tu ihn ihm rein in ihn ihm sein Tor. Horst Hrubesch