Interview mit Martin Kind und Jürgen Born auf spox.com zur 50+1-Regelung:
"Was soll an Abramowitsch falsch sein?"
München - Die 50+1-Regelung spaltet die Bundesliga. Soll es in Deutschland weiterhin verboten bleiben, dass ein Investor mehr als die Hälfte der Anteile - sprich 50 Prozent plus eine Stimme - eines Vereins übernehmen kann? Oder ist die Regelung antiquiert?
Im Doppelinterview von SPOX.com diskutieren Hannovers Geschäftsführer Martin Kind, vehementer Gegner der 50+1-Lösung, und Jürgen L. Born, Bremens Vorsitzender der Geschäftsführung, über das Für und Wider einer möglichen Abschaffung der Regelung.
SPOX: Eine Aufhebung der 50+1-Regelung soll Investoren in die Bundesliga locken. Ist es so denkbar, dass in einigen Jahren ein Superstar wie Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo aus Spanien oder England nach Deutschland wechselt?
Jürgen L. Born: Wir haben mit Diego bereits einen solchen Spieler, auch wenn er günstiger war als die genannten Namen. Bremen ist organisch sehr gut gewachsen, aber in der Preiskategorie eines Messis oder Ronaldos werden wir uns auch in der Zukunft nicht bewegen. Da ist es egal, ob Großinvestoren zugelassen werden oder nicht.
Martin Kind: Solche Superstars werden mit Sicherheit nicht zu Hannover 96 wechseln. Und das ist auch gar nicht unser Ziel. Mir ist es vielmehr ein Anliegen, dass Grundsatzentscheidungen getroffen werden, indem einem Verein wie Hannover die Möglichkeit gegeben wird, frisches Geld zu akquirieren - nicht um absolute Topspieler zu holen, sondern um mittel- und langfristig etwas aufzubauen.
SPOX: Was heißt "etwas aufbauen"?
Kind: Der FC Bayern oder Bremen sind so stark, dass sie selber die Spielregeln bestimmen können. Andere Vereine wie wir sind dafür aber zu schwach, daher müssen wir einen anderen Weg der Kapitalbeschaffung gehen. Während 96 keinen Gewinn verbucht, erwirtschafteten die Bayern knapp 20 Millionen. Daher ist klar, dass Hannover nicht konkurrenzfähig ist und Geld braucht, um den nächsten Schritt einzuleiten. Wenn nicht, stagnieren wir. Und Stagnation bedeutet Rückschritt.
SPOX: Herr Born, Bremen ist einer der deutschen Vorzeigeklubs. Warum kommt ein Kauf eines Superstars dennoch nicht in Frage, wenn die 50+1-Regelung kippen sollte?
Born: Sollte uns frisches Kapital zufließen, würde ich es lieber sehen, wenn wir zum Beispiel die 50 Prozent des Weser-Stadions, die der Stadt gehören, ihr abkaufen, um zukünftig die Miete zu sparen. Dadurch würden wir nachhaltig einen Finanzierungsvorteil schaffen.
SPOX: Herr Kind, polemisch formuliert könnte man sagen: Sie wollen mit einem Fingerschnipp eines Investors das aufholen, was Uli Hoeneß oder Werder Bremen in den letzten Jahrzehnten aufgebaut haben.
Kind: Nein. Das wäre auch absolut unrealistisch. Kein Investor wird kommen und uns einfach mal so 100 Millionen zur Verfügung stellen, um es mit dem FC Bayern aufzunehmen. Die Realität ist eine ganz andere: Die Spitzenvereine sind eine andere Liga und die Entwicklung von Hannover 96 wird noch eine Zeit dauern, bis wir in deren Nähe kommen.
SPOX: Herr Kind, können Sie als Gegner der 50+1-Regelung erklären, warum nicht nur Ihr Verein, sondern die Liga davon profitieren wird, wenn die Regelung aufgehoben wird?
Kind: Das ist ganz einfach: Die Vereine werden wettbewerbsfähiger. International tritt die Bundesliga auf der Stelle. Die 50+1-Regelung ist typisch deutsch, kein anderes Land, egal ob England, Spanien, Italien oder Frankreich, hat etwas Vergleichbares. Deutschland ist einen Sonderweg gegangen. Ein Sonderweg, der einen Nachteil im Wettbewerb darstellt.
Born: Schauen Sie sich die Fünfjahreswertung der UEFA an. Wir haben mittlerweile Probleme, uns gegen Länder wie Rumänien oder Portugal durchzusetzen. Wenn wir international vorwärts kommen wollen, müssen wir uns was einfallen lassen.
SPOX: Herr Born, das klingt fast so, als ob Sie sich mit dem Wegfall der 50+1-Regelung abfinden könnten. Dabei gelten Sie als Gegner der Aufhebung.
Born: Ich bin nicht prinzipiell dagegen. Nur für Bremen kommt es nicht in Frage, dass ein Investor mehr als die Hälfte der Anteile aufkauft. Als der Profibereich mit der Zustimmung der Vereinsmitglieder ausgegliedert wurde, hat man ihnen ein Mitspracherecht bei der Veräußerung von Besitzanteilen zugebilligt. Auch wenn wir damals sehr viel weniger Mitglieder hatten als heute, nehmen wir dieses Abkommen weiterhin ernst.
SPOX: Warum gehen Sie davon aus, dass die Vereinsmitglieder dagegen votieren würden, wenn ein Investor mit Millionen lockt?
Born: Unsere Mitglieder haben eine gewisse, sagen wir hanseatische Mentalität, da findet kein rascher Sinneswandel statt. Wir haben eine über 109 Jahre alte Klubkultur und eine etablierte Marke. Wir können nicht unser Image, unser Wappen, unsere grün-weiße Vereinsfarbe an irgendjemanden verkaufen, von dem wir nicht wissen, was er mit uns vorhat.
Kind: Aber es gibt doch ausreichend Möglichkeiten, die Interessen eines Vereins zu wahren, wenn ein Investor kommt. Wer sagt denn, dass ein Klub die Vereinsfarbe wechseln muss? Darüber hinaus kann, wenn sich ein Investor engagiert, alles vertraglich so geregelt werden, dass die Identität und die Marke des Vereins nicht verloren gehen.
SPOX: Besteht nicht die Gefahr, dass sich ein Investor abseits von Wappen und Klubfarben zu sehr in das Alltagsgeschäft einmischt?
Born: Eine berechtigte Frage. Was passiert denn, wenn ein Investor über die Hälfte der Anteile besitzt, bei der Aktionärsversammlung sein Stimmrecht ausnutzt und die Geschäftsleitung, den Trainer oder die Mannschaft austauscht? Insofern fände ich es gut, wenn nicht nur der Klub den Investor prüfen würde, sondern auch eine neutrale Stelle wie die DFL. Der Klub muss in seinen finanziellen Entscheidungen autonom bleiben.
Kind: Diese Haltung ist natürlich legitim. Bremen hat die letzten Jahrzehnte sehr professionell gearbeitet und so lange Werder wirtschaftlich derart stark ist, haben sie einen Investor sicherlich weniger nötig. Die Situation bei 96 ist aber deutlich anders. Mittlerweile sind wir an einem Punkt angekommen, an dem wir überlegen müssen, wie wir national und mittelfristig auch international konkurrenzfähig sein können.
SPOX: Herr Born, Sie betonen die Bedeutung von Tradition und Geschichte. Ist solch eine Haltung im kommerziellen Fußball noch zeitgemäß?
Born: Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn wir mehr Geld erwirtschaften würden. Der entscheidende Punkt ist aber, dass Wachstum langfristig anhalten muss. Im Gegensatz zu einem Investor, der einmalig einen Betrag einzahlt, ist mir ein Sponsor lieber, der sich zehn Jahre engagiert, und auf den wir uns verlassen und somit langfristig planen können.
SPOX: Herr Kind, sehen Sie keine Gefahr darin, wenn ein Neureicher aus Russland einen Bundesligisten aufkauft, so wie es Roman Abramowitsch mit dem FC Chelsea tat?
Kind: Die Angst vor den Russen ist eine typisch deutsche Hybris. Warum soll Geld aus Russland schlechter sein als aus anderen Ländern? Und was soll schlimm daran sein, wenn ein Herr Abramowitsch ankommt und den FC Chelsea mit viel Geld von einer grauen Maus in einen Spitzenklub verwandelt? Abramowitsch macht einen guten Job. Punkt. Die in Deutschland gängige Stigmatisierung sollte man schleunigst vergessen.
SPOX: Herr Born, was halten Sie von russischen Investoren?
Born: Als langjähriger Bankier weiß ich, dass die geografische Herkunft von Geld keine Rolle spielt. Ob jetzt ein Geldgeber aus Miami, Moskau oder Nairobi kommt, das ist egal. Geld ist Geld. Wenn aus Russland oder aus den USA Interesse besteht, in die Bundesliga zu investieren, dann muss man sich dem öffnen.
SPOX: Gerüchte, wonach Abramowitsch mit der organisierten Kriminalität in Verbindung gebracht wird, sind nicht weiter von Belang?
Kind: Ich habe aus England noch nie etwas gehört, das darauf hinweist, dass dort unseriös gewirtschaftet wird. Uns ist kein Vorgang bekannt, in dem Probleme mit Investoren entstanden sind.
Born: Mir sind auch keine Beispiele bekannt, die für Werder Bremen abschreckend wirken könnten. Dennoch kommt es für uns nicht in Frage, mehr als die Hälfte des Vereins zu verkaufen. Wenn überhaupt, würde uns eine strategische Partnerschaft interessieren, so wie es der FC Bayern vorgemacht hat, indem er zehn Prozent der Anteile für 75 Millionen Euro an "Adidas" weitergegeben hat. Das ist eine tolle Sache, zumal die Bayern die Einnahmen auch dafür genutzt haben, um die Allianz-Arena zu bauen. So werden nachhaltig Werte geschaffen.
SPOX: Herr Kind, befürchten Sie nicht, dass ein Investor seinen Einfluss auch auf sportliche Belange ausdehnt? Beim FC Liverpool etwa diktieren offenbar die neuen amerikanischen Besitzer die Transferpolitik des Trainers.
Kind: Wo soll das Problem sein? Die Sachlage ist einfach: Wer viel Geld gibt, hat das Sagen. Die Kapitaleigner wollen natürlich Einfluss nehmen auf den Verein, auf die Besetzung der Geschäftsführung, auf die Ausgaben des Vereins, auf alles, was ihnen relevant erscheint.
SPOX: Über die Fußballkompetenz der Geldgeber kann man jedoch streiten.
Kind: Aber kein Kapitalgeber wirft sein Geld aus dem Fenster, um es zu vernichten. Jeder Investor will Rendite sehen, und das geht nur mit sportlichem Erfolg. Daher gehe ich davon aus, dass die Finanziers das Wohl des Vereins im Blick haben.
SPOX: Herr Kind, gibt es im Ausland einen Verein, der ein Vorbild sein könnte für die Bundesliga, was die Integration eines Investors anbelangt?
Kind: Bei Red Bull Salzburg läuft es sehr gut, auch in der Schweiz oder in England gibt es entsprechende Beispiele.
SPOX: Stichwort "Red Bull". Es heißt, Besitzer Dieter Mateschitz wäre neben der amerikanischen "Anschutz-Gruppe" sehr daran interessiert, in Deutschland einzusteigen. Aber besteht nicht die Gefahr einer neuen Ungleichheit in der Bundesliga, wenn einige Vereine von solchen Weltkonzernen unterstützt werden und andere nicht?
Kind: Sicherlich würde sich die Bundesliga verändern. Nehmen wir das Beispiel Leipzig: "Red Bull" würde sich dort allzu gerne engagieren, um Rahmenbedingungen für den Profifußball zu schaffen. Selbstredend würde sich dadurch die Fußball-Landkarte ändern, aber das Engagement eines großen Geldgebers könnte den Markt neu beleben. Und das kann nur förderlich sein. Solange die Abschaffung der 50+1-Regelung sauber geregelt wird, bin ich davon überzeugt, dass weiterhin ein funktionaler Wettbewerb gewährleistet sein wird.
SPOX: Was verstehen Sie unter "sauber geregelt"?
Kind: Die DFL müsste über die Lizenzierung sehr umfassend sowie mit einem tiefen Reglungswerk sich weiter entwickeln und außerdem Wirtschaftprüfungsgesellschaften einbinden.
Born: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wenn schon, müsste ein Katalog an Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit wie angesprochen die Klubidentität gewahrt werden würde.
SPOX: Abgesehen von "Red Bull" und "Anschutz": Wie groß wäre überhaupt das Interesse von Investoren an der Bundesliga?
Born: Sie stehen nicht Schlange. Wenn man wirklich Investoren anlocken will, müsste man aktiv dafür werben - genauso wie für alle anderen schönen Dinge auf der Welt auch.
SPOX: Dementsprechend haben noch keine russischen Milliardäre angerufen?
Born: Nein.
SPOX: Und bei Ihnen, Herr Kind? Immerhin soll Hannover dank Alt-Kanzler Gerhard Schröder glänzende Beziehungen nach Russland haben.
Kind: Das stimmt nicht. Ich kenne einige Persönlichkeiten, die bereit wären, sich für 96 zu engagieren - aber sie alle haben einen Bezug zu Hannover, was uns auch äußerst wichtig ist. 96 will regionale Investoren, keine Russen und auch sonst keine aus dem restlichen Deutschland.
SPOX: In der Premier League führte die Öffnung des Marktes dazu, dass die Eintrittspreise extrem angestiegen sind. Erwartet das auch die deutschen Fans, wenn die 50+1-Regelung gekippt wird?
Born: Beim FC Arsenal etwa liegt der Ticketpreis im Schnitt bei zirka 70 Euro, im Weser-Stadion bei rund 15 Euro. Das Emirates-Stadion ist trotzdem immer sehr gut gefüllt, so dass Arsenal alleine durch den Kartenverkauf bei Heimspielen 85 Millionen Euro pro Saison einnimmt. Das ist fast soviel wie unser gesamter Umsatz in einem Jahr. Also warum soll die Premier League da etwas falsch machen?
Kind: Ich sehe das ähnlich. Der Markt wird es regeln. Wenn die Eintrittspreise zu sehr steigen, wird es weniger Zuschauer geben, und dann wird die Schraube wieder zurückgedreht.
SPOX: Herr Kind und Herr Born, Sie sind mit ihren Positionen gar nicht soweit entfernt. Dennoch glaubt DFL-Präsident Reinhard Rauball, dass in der Bundesliga nicht die benötigte Zweidrittel-Mehrheit vorhanden ist, um die 50+1-Regelung aufzuheben. Warum?
Kind: Ich glaube, dass sich einige Entscheidungsträger in der Liga noch nicht ausreichend tief mit der Materie auseinandergesetzt haben. Ich gehe aber davon aus, dass wir einen Konsens finden werden, der alle Befürchtungen vor den Investoren berücksichtigt, aber am Ende eine Öffnung des Marktes bewirkt. Nur um das zu betonen: Kein Verein würde gezwungen werden, seine Anteile zu verkaufen. Nur sollte es in der Entscheidungsgewalt eines jeden Klubs liegen, ob man Investoren haben will oder nicht.
SPOX: Weil?
Kind: Weil wir uns dem Kapitalmarkt öffnen und entsprechende Strukturen schaffen müssen, damit wir wettbewerbsfähig bleiben.
Born: Als Verfechter der Marktfreiheit muss man mit der Zeit gehen und modern denken. Daher bin ich nicht kategorisch gegen Veränderungen - solange man darauf achtet, die eigene Entscheidungsgewalt zu wahren. Die Aufhebung der 50+1-Regelung wird aber nur schrittweise voran gehen und es wird lange an den Rahmenbedingungen geschraubt werden. Ich denke, es kann zwei bis fünf Jahre dauern, bis sich die Tür öffnet.
Kind: Auch wenn es eine gewisse Zeit dauern sollte, eines ist klar: Die 50+1-Regelung muss fallen. Als es vor über 30 Jahren mit Jägermeister den ersten Trikotsponsor gab, war der Aufschrei groß. Aber Märkte leben, Märkte entwickeln sich. Und die Bundesliga muss Schritt halten.
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