Liebe Forumskollegen,
ich möchte ein paar Gedanken zum Tod von Robert Enke und einigen Kommentaren hier loswerden.
Als ich am Dienstagabend den Videotext irgendeines Senders aufrief, um nach dem Programm und aktuellen Schlagzeilen zu sehen, leuchtete dort die Zeile auf "Robert Enke ist tot". Ich habe diese Zeile mehrfach gelesen und konnte nicht glauben, was dort stand. Es dauerte eine Weile, bis ich die angegebene Seite aufrief und erkennen musste, dass hier kein Irrtum oder eine Verwechslung vorlag. Ich war im Schock. Ich zappte durch die Videotextseiten und startete den PC, um mich im Internet zu vergewissern. Wie versteinert starrte ich auf die Worte, die von Bahnübergang und Selbstmord zeugten.
Ich war fix und fertig und fing an die wichtigsten Telefonnummern anzurufen, nur zum Teil, um vielleicht Ahnungslose zu informieren, wahrscheinlich doch eher, um die Fassungslosigkeit mit jemandem teilen zu können. Der Internetauftritt von Hannover 96 hatte inzwischen jeden Zweifel ausgeräumt und war genau wie ich in der schockierenden Nachricht vom Tod Robert Enkes erstarrt.
Da ich selbst erst gerade einen Infekt überstanden hatte, konnte ich am Dienstagabend nicht zum Stadion gehen. Den Mittwoch verbrachte ich in einer Art gedämpften Trance in dem ich die Pressekonferenzen und Berichterstattung wie ein Schwamm aufsog. Am Abend besuchte ich die Andacht in der Marktkirche und marschierte mit zum Stadion. Die Gespräche um mich herum kreisten immer um das Gleiche: Wie hatte man von Enkes Tod erfahren und was war alles nötig um dieser furchtbaren Nachricht zu vertrauen? Menschen jeden Alters, verschiedener Vereine (auch vom BTSV!) schlenderten gedämpft murmelnd im Zug dahin, kein böses Wort fiel.
Am Stadion sammelte ich mich in einer der Schlangen vor dem Kondolenzbüchern, um mich dort einzutragen. Fix und fertig traf ich zuhause ein und brauchte bis Donnerstagnachmittag, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Ein Treffen mit 1893, eigens für den Stadionbesuch aus der fernen Heimat angereist, brachte uns beiden ein wenig Ruhe. Die Zeit bis zum Trauergottesdienst im Stadion verging zähflüssig, ich konnte nur langsam wieder klare Gedanken fassen.
Der Stadionbesuch war mein persönlicher Abschluss einer schrecklichen Trauerphase. Ich habe schon einige Trauer erlebt, doch so mitgenommen hat mich noch kein Tod eines Menschen, den ich nicht persönlich kannte. Die Trauerfeier gab mir, was ich brauchte, um mit dem Schlimmsten abzuschließen. Es tat mir gut, zu sehen, dass es vielen Tausend anderen Menschen genau so erging wie mir. Es tat mir gut, einen wichtigen Menschen an meiner Seite zu haben, denn es gab einige Situationen während der Veranstaltung, in denen ich wie ein Schlosshund geheult habe.
Nach dem Abschluss der Veranstaltung fühlte ich mich wie gerädert, aber trotzdem auch ein wenig besser. Mir war bewusst geworden, dass jetzt vor allem die Trauerarbeit für Teresa Enke, andere Familienangehörige und die Spieler von Hannover 96 und Nationalmannschaft wirklich beginnt. Nach der Beerdigung nimmt der unglaubliche Stress der Organisation, der vielen notwendigen Gespräche, der schwierigen Entscheidungen ein wenig ab. Dann erst, bei den Gedanken an den Alltag, an die Normalität, die sich so recht nicht wie Normalität anfühlen will, wächst die Leere, die Lücke die Robert Enke hinterlassen hat, ins scheinbar Unermessliche.
Ich denke an meine eigenen Erfahrungen und wünsche Teresa Enke, allen Angehörigen, den Spielern von Hannover 96 und der Nationalmannschaft und allen, die Robert Enke nahe gestanden haben, die Kraft, mit dem Verlust fertig zu werden und die Kraft und den Mut, die vielen kleinen und großen Aufgaben, die in Zukunft ohne ihn bewältigt werden müssen, anzugehen und durchzustehen.
Ich wünsche auch den Zugführern, den Helfern und allen, die durch seine Selbsttötung leiden mussten, dass sie diese grausame Erfahrung verarbeiten können und in ihr Leben zurückfinden.
Soweit meine ganz persönliche Geschichte.
Das Leiden der Anderen
Es macht mich traurig, dass selbst hier im Forum Einige Robert Enke die Schuld für alles Leid geben, das seine Selbsttötung und die Art und Weise, wie er sie umgesetzt hat, bei den Menschen verursacht.
Die Depression ist eine Krankheit, die das Herz erdrückt und den Verstand blockiert. Wer Robert Enkes Leben betrachtet, kann niemals ernsthaft glauben, dass er diese Konsequenzen so bewertet hat, wie er so viele andere Dinge seines Lebens und die Aufgaben, die er sich selbst gestellt hat, bewertet hat.
Das konnte Robert Enke nicht, denn die Despression verstellt den Blick auf die Konsequenzen für andere, auf rationale Überlegungen, wem man schadet, wie andere sich fühlen werden. Wer depressiv ist, verliert gerade die Fähigkeit, die Robert Enke so ausgezeichnet hat: Empathie, das Mitfühlen, das Hineinversetzen in andere. So wenig rational, wie ein depressiver Mensch sich zur Selbsttötung entscheidet, so wenig rational entscheidet er den Weg dorthin.
So überlegt die Planungen auch gewesen sein mögen, mit denen er alle Menschen, selbst seine geliebte Frau getäuscht hat, die Gedanken eines Menschen, der entschlossen ist, sein Leben zu beenden, nehmen in ihm so viel Raum ein, dass für die Frage nach den Gefühlen Anderer kein Platz mehr ist.
Die Aufgabe, diese Gedanken zu haben, diese Gefühle auszudrücken, für die Hinterbliebenen und die betroffenen Zugführer und Helfer, diese Aufgabe ist jetzt unsere.
Der Druck und die Schuld
Ich möchte gerne Arnd Zeigler zitieren, der hierzu viel Richtiges in seiner
„Wunderbaren Welt des Fußballs“ vom 15.11.09 gesagt hat:
"[Hat] der große Druck des kalten Bundesligageschäftes Robert Enke letztendlich in seinen Tod getrieben [...]? [Robert Enke] ist in fast 47 Jahren der erste aktive Spieler der ersten Liga, der sich das Leben genommen hat und unter schweren Depressionen leiden auch Bäckermeister, Lehrer, Bürohilfen oder Metzgergesellen. [...] Man kann nicht ergründen warum jemandes Herz nicht mehr will und ebenso wenig kann man ergründen, warum Robert Enkes Seele nicht mehr wollte. Die Krankheit ist eigentlich schon die ganze Antwort."
Es ist nicht die Bundesliga, die Enke zur Selbsttötung gebracht hat, es war nicht der Tod seiner Tochter, es waren nicht die Rückschläge auf seinem Weg in die Nationalmannschaft: Es war seine Krankheit.
Alle Belastungen, so ungerecht und grausam sie gewesen sind, haben für Robert Enke durch seine Krankheit zu viel Gewicht bekommen. Seine Krankheit hat ihm den Blick auf mögliche Lösungen oder auch nur die Möglichkeit, trotz allem ein wirkliches Leben als Vater, Ehemann und großherziger Helfer für viele Menschen und Tiere führen zu können, verstellt.
Die Trauerfeier und die Medien
Jeder trauert anders. Braucht man um zu trauern bestimmte Kleidung, bestimmte Musik, eine Kirche, einen Pastor oder Pfarrer, alle Freunde und Nachbarn, nur die Familie, eine Aufbahrung, eine Urne, eine Grabstelle, viele Menschen, die einem beistehen, das Alleinsein? Was für den einen Menschen wichtig ist, erscheint dem anderen unvorstellbar.
Es liegt auf der Hand, dass eine Trauerfeier, wenn so viele Menschen um einen Einzelnen trauern, niemals allen Vorstellungen gerecht werden kann. Ob es Robert Enke so gewollt hätte, ist müßige Spekulation, denn er ist nicht mehr hier. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Trauerfeier in der AWD-Arena genau der richtige Weg und auch die richtige Größe war.
Jeder Mensch vor Ort konnte sich davon überzeugen, dass getrauert wurde, Anteil genommen wurde, Abschied genommen wurde, Trost gespendet wurde; von jedem Einzelnen für sich und seine Nachbarn, aber auch in der großen Gemeinschaft untereinander und für Teresa Enke, die Mannschaften und die Vielen, die persönlichen Kontakt mit Robert Enke hatten. Auch diejenigen, die nicht vor Ort sein konnten oder wollten, hatten die Möglichkeit, durch die Übertragung im Fernsehen dabei zu sein. Ich hatte nicht den Eindruck, als würde hier ein Medienspektakel inszeniert. Doch wer immer das so empfunden haben sollte, konnte sich selbst entscheiden, ob und auf welche Weise er teilhaben wollte.
Ich denke, dass gerade die Trauerfeier eine Veranstaltung voller Würde und Respekt war.
Über die mehr oder weniger eng am Thema angelehnten Diskussionen mit mehr oder weniger kompetenten Moderatoren und Experten, kann man sicher eine andere Meinung vertreten. Aber das liegt meiner Meinung nach auch daran, dass die Frage nach dem Grund mit der Antwort: „Eine tödlich verlaufene Krankheit“ hinreichend zu beantworten gewesen wäre. Doch die Frage, ob sich an der fatalen Schweigsamkeit zu Schwächen bei Menschen mit Depressionen zukünftig etwas ändern wird, diese Frage kann niemand beantworten – nur die Zukunft.
Es gibt Menschen, die schon jetzt ein Antreten von Hannover 96 gegen Schalke 04 einfordern, weil die Spieler schließlich Profis seien und keine „Weicheier“ sein dürften, wie das gerade in
Kommentaren auf der Seite der HAZ zu lesen ist. Diese Menschen zeigen, dass die Verantwortung hier keinesfalls allein bei DFL, DFB oder den Verantwortlichen in den Vereinen liegt. Hier muss auch jeder Zuschauer, jeder Fan seine eigene Einstellung überprüfen. Bei gebrochenen Knochen und gezerrten Muskeln versteht jeder die Notwendigkeit, für Wochen oder gar Monate pausieren zu müssen, bei gebrochenen Seelen scheinen für das Verständnis aber andere Grenzen zu herrschen.
Fazit
Ich trauere noch immer und weiß, dass ich dabei nicht alleine bin. Ich möchte mit diesem Beitrag dafür werben, Verständnis für diejenigen zu zeigen, die in der einen oder anderen Frage vielleicht einfach eine andere Meinung haben. Das Maß aller Dinge ist für mich immer noch gegenseitiger Respekt. Diesen hat Robert Enke in seinem Leben anderen zuteil werden lassen und sich damit selbst in höchstem Maße verdient. Auch nach seinem Tod wirkt dieser Respekt noch immer nach, er wird nicht nur in der Zahl seiner Fans sondern auch in deren vielfältiger Zusammensetzung deutlich. Nur wenigen Sportlern seiner Klasse gelingt es, sich über ihre Sportart hinaus und in allen Bereichen – sei es für persönliche Kontakte oder auch wichtige Projekte – so viel Respekt zu verdienen und dabei nie für einen Skandal verantwortlich gewesen zu sein.
In diesem Sinne und – wie ich denke - auch im Sinne Robert Enkes, plädiere ich für mehr Respekt.