„Robbie, darüber würde ich gerne mit dir reden“
Interview mit Ronald Reng
Herr Reng, kommenden Mittwoch erscheint Ihre Biografie von Robert Enke. Sie waren mit ihm befreundet. Haben Sie während des Schreibens Zweifel gehabt, ob Sie dieses Buch machen können? Es geht in Roberts Biografie ja auch um die Schwierigkeiten, öffentlich von seinen Ängsten zu reden, also fange ich damit mal an: Natürlich plagten mich Zweifel, ob meine Sprache gut genug für so ein großes, wichtiges Buch ist. Ich habe auch jetzt Angst, dass das Buch missverstanden wird. Aber nach den überwältigenden Reaktionen meiner drei Testleser (ein Profifußballer, ein Journalist und ein Psychologe, d. Red.) habe ich Hoffnung, dass sehr viele Leser das Buch so erleben werden, wie es gedacht ist: ein einfühlsames Porträt, ein tiefer Blick in den Profifußball und der Versuch einer Erklärung, was Depressionen wirklich sind.
Ich stelle es mir emotional unglaublich schwierig vor, bei der Recherche in das Leben eines Freundes einzutauchen, den man nicht mehr fragen kann. Das Buch zu schreiben war sicherlich nicht gesund für mich, dafür stand ich Robert zu nahe. Ich habe mich teilweise gehasst dafür zu sehen, wie gut das professionelle Schreiben trotzdem funktioniert. Es ist schwer, auch so etwas wie Stolz zuzulassen und zu sagen: Das hast du jetzt aber gut geschrieben.
Gab es Momente, in denen Sie nicht mehr weiterschreiben konnten? Ich wurde oft von den Erinnerungen überwältigt. Aber verwirrender ist eigentlich die Leere jetzt, danach. Ich vergesse nun ständig Sachen. Zweimal innerhalb einer Woche bin ich aus Zügen ausgestiegen und hatte meinen Koffer einfach im Abteil stehen lassen. Ich habe acht Monate in einer unwirklichen Welt gelebt, permanent mit Roberts Abwesenheit konfrontiert, ständig der Gedanke: Robbie, darüber würde ich gerne mit dir reden.
Hat es Ihnen die Arbeit erleichtert, dass eine Biografie der Wunsch von Robert Enke war? Ja, sonst hätte ich sie wohl nicht geschrieben. Wir hatten seit 2003 immer mal wieder darüber gesprochen. Entstanden ist die Idee aus einem unüberlegten Spruch von mir. Robert hatte mein Buch „Der Traumhüter“ gelesen, und als er das Werk lobte, antwortete ich aus Verlegenheit, um irgendetwas zu sagen: Irgendwann schreiben wir mal deine Biografie. Da habe ich gemerkt, wie seine Augen leuchteten... Diese Idee, einmal alles aufschreiben, einmal alles erzählen zu können, hat ihn nie losgelassen. Auch, weil er in seiner Depression im Gefühl eingesperrt war, er dürfe niemandem von seiner Krankheit erzählen.
Eigentlich sollte es ein ganz anderes Buch werden... „Enke & Villa. Eine Fußballfreundschaft“ war mein Arbeitstitel. Ein Buch über Robert und seinen Freund aus Mönchengladbacher Tagen, Marco Villa. Sie starteten als große deutsche Hoffnungen gemeinsam, am Ende war Robert Nationaltorwart und Marco in der 5. Liga. Und immer blieben sie Freunde. Das war die Idee: Zwei Freunde öffnen uns das gesamte Spektrum des Profispiels. Dann erfahre ich, dass Robert an Depressionen leidet und dass Marco – einer der vielen kleinen Helden in meinem jetzigen Buch – von Angstattacken geplagt wird.
Sie durften für die Biografie die Tagebücher von Robert Enke als Quelle nutzen, sie haben 40 Interviews mit anderen Menschen aus Roberts Leben gemacht. Hat sich das Bild, das Sie von ihm hatten, dadurch verändert? Verändert nicht, aber ich habe Robert in einer ganz neuen Tiefe kennengelernt. Seine Tagebücher sind sehr präzise, sehr ergreifend. Er schrieb auch Gedichte. In seinen schwarzen Stunden hat er sich vorgeworfen, dass er doch nichts anderes könne als Fußball spielen. Ich hätte ihm gerne gesagt: Doch, Robert, du hast Talent zu schreiben. Das wäre eine Perspektive gewesen. Als Junge hat Robert mal gesagt, vielleicht werde er später ja Sportjournalist.
Wie waren die Gespräche mit Enkes Weggefährten? Ich denke, ich werde nie wieder solche Interviews führen dürfen. Die Offenheit war einmalig, am Ende haben selbst Profitorhüter wie Victor Valdés oder René Adler über ihre eigenen Probleme mit dem Druck des Spiels gesprochen.
Enkes Tagebücher wären für den Boulevard ein gefundenes Fressen ... Ich habe die Tagebücher eher defensiv verwendet. Einerseits sind sie einmalige Beschreibungen aus der dunklen Welt der Depressionen, und zu zeigen, was Depressionen sind, ist ein Anliegen des Buchs. Andererseits sind es Roberts persönliche Aufzeichnungen. Ich habe einige seiner Beschreibungen der Krankheit verwendet, auch um anderen Depressiven zu zeigen: Ihr seid nicht merkwürdig, die Krankheit macht aus jedem ein Bündel, auch aus einem Nationaltorwart. Was Robert über andere Leute, Kollegen, Freunde schreibt, habe ich dagegen bewusst nicht zitiert. Die Biografie soll von detaillierten Beschreibungen leben, nicht von reißerischen Zitaten.
Sehen Sie nach der Beschäftigung mit den Tagebüchern und Ihren Gesprächen Menschen und Geschichten aus Robert Enkes Leben anders? Absolut. Wenn man zum Beispiel liest, wie sich Roberts Mitspieler bei Hannover 96, Hanno Balitsch, während der Depression im Herbst 2009 um ihn gekümmert hat, dann werden auch viele in Hannover eine neue Facette an Hanno entdecken. Es mag nur ein verschwindendes Detail sein, aber für mich sagt es viel: Robert war bei 96 der Einzige, der auf Busfahrten weder einen Laptop oder ein iPod oder so etwas dabeihatte, und während der Depression hat Hanno einen Doppelstecker für seinen Laptop besorgt, damit sie zusammen Filme schauen konnten. Da hat sich einer rührend Gedanken gemacht, mit jeder Kleinigkeit Robert das Gefühl zu vermitteln: Du bist nicht alleine.
Auch René Adler, Enkes damaliger Konkurrent um die Nummer 1 im Nationaltor, sieht man nach der Lektüre Ihres Buches in einem ganz anderen Licht. Alle, die Robert nahestanden, haben René damals automatisch als Gegner wahrgenommen. Es ist erschreckend zu erkennen, wie ungerecht das war. Während der Boulevard das Duell Enke – Adler angefeuert hat, entwickelten die beiden unbemerkt von der Öffentlichkeit eine Fußballfreundschaft. Für René waren die Gespräche mit Robert die ehrlichsten unter Profikollegen. Robert hat René bestärkt, sich nicht einreden zu lassen, er müsse ein kalter Krieger sein, um im Nationaltor zu stehen. Man merkt, dass René viel über Roberts Weg nachgedacht und daraus seine Schlüsse gezogen hat. Er will Ehrlichkeit nicht als Schwäche sehen. Als René jüngst sagte, dass Manuel Neuer nach seiner guten WM zu Recht vor ihm im Nationaltor stehe, fand ich das bewundernswert stark. Leider werden einige es wieder als Schwäche interpretieren ...
Eine besondere Geschichte verband Enke auch mit José Moreira ... Er war bei Benfica Lissabon so etwas wie sein kleiner Torwartbruder. Robert hatte damals Angst vor dem Ausland, er hat immer Konkurrenz gehasst, und dann traf er auf diesen 17-Jährigen, der sein begeisterter Lehrling wurde. Es wurde eine herrlich unbeschwerte Zeit, und es ist eines meiner persönlichen Lieblingskapitel im Buch. Moreira hat als Torhüter viel übernommen von Robert, zum Beispiel diesen kleinen Hopser vor dem Absprung. Vor dieser Saison wurde Moreira dann sogar auch Hannover 96 angeboten. Vermutlich klingt es pathetisch, aber ich sage es trotzdem: Moreira bei 96, mir hätte das etwas bedeutet. Etwas lebt weiter ...
Es gab nach Enkes Tod unglaublich viele Gerüchte und Spekulationen, vor allem im Zusammenhang mit seiner Depression ... Das liegt daran, dass Depressionen für viele Menschen unbegreiflich sind. So phantasierten einige über scheinbar logischere, in Wirklichkeit aber hanebüchene Gründe für seinen Selbstmord. Ich denke, das Buch lässt diese Gerüchte lächerlich aussehen. Bei Robert war seit der Jugend eine Anfälligkeit für Verstimmungen erkennbar. Er litt dann zweimal in seinem Leben an klinischen Depressionen. Das erste Mal 2003. Diese Phase überstand er gut und zog sogar Kraft aus der Genesung. Er fand eine grundsätzliche Zufriedenheit mit sich und dem Leben. Die zweite Depression folgte im Juli, August 2009. In all den Jahren dazwischen war Robert frei von den Symptomen und so, wie ihn die Menschen wahrgenommen haben. Er hat sich nicht verstellt.
Denken Sie, dass sich nach Enkes Tod, vor allem durch den Mut seiner Frau Teresa, Roberts Krankheit öffentlich zu machen, etwas verändert hat beim Thema Depression?
Psychiater und Psychologen sagen, dass die Wahrnehmung eine andere geworden sei. Viele Depressive haben erkannt, dass sie sich nicht für ihre Krankheit schämen müssen. Es trauen sich nun mehr, zum Arzt zu gehen. Es ist eine unheimliche Krankheit, weil du größtenteils die Kontrolle über dich verlierst: Du bist nicht mehr in der Lage zu schlafen, zu fühlen, zu entscheiden. Hanno Balitsch besuchte Robert während der Krankheit zu Hause, und da saß der Leader seines Teams und konnte sich nicht mehr entscheiden, ob er Käse- oder Apfelkuchen essen mochte.
I
n der Öffentlichkeit wurde viel darüber diskutiert, dass der Tod seiner Tochter Lara der Grund für Enkes Depression war. Der Schwarz-Weiß-Schluss, dass allein Laras Tod ihn in Depressionen stürzte, ist schwer haltbar. Robert war das erste Mal lange vor Laras Geburt depressiv, und er hat nach ihrem Tod drei Jahre ohne Schwierigkeiten gelebt. Depressionen haben selten einen einzigen, klar definierbaren Grund. Wir werden nie wissen, was genau 2009 die Depression auslöste.
Wie beurteilen Sie den Umgang von Hannover 96 mit Robert Enkes Tod? Ich weiß von vielen Fans, die sich zum Beispiel gewünscht hätten, dass der Verein die Nummer 1 nicht mehr vergibt. Es war ein emotionaler Ausnahmezustand, die Zeit war sehr schwer für die Verantwortlichen, und man muss viel Verständnis haben. Die Mannschaft hat damals sieben Spiele in Folge verloren, und es ging für 96 nicht mehr nur um Roberts Tod, sondern darum, dass der Verein nicht in dem Strudel versinkt. Das musste für den Verein der erste Gedanke sein. Trotzdem muss leise die Frage erlaubt sein, ob nicht doch ein wenig Platz für Menschlichkeit gewesen wäre. Hätte 96 etwa, als man die kleine, schwarz umrandete Nummer 1 wieder vom Trikot entfernte, nicht doch Teresa anrufen können und fragen, was ihr das bedeutet?
Was hat 96 Robert bedeutet? Er hat immer gesagt: Ich habe noch nie in so einer tollen Mannschaft gespielt wie 96. Umso mehr hat ihn beschäftigt, wie ab 2008 vieles davon kaputtgegangen ist.
Wie erinnern sich die ehemaligen Kollegen an ihn? Spieler wie Per Mertesacker, Hanno Balitsch oder Teambetreuer Thomas Westphal haben Teresa nicht vergessen. Westphal kam nach Roberts Tod mit dem Busfahrer von 96 bei Teresa mit dem Mannschaftsbus vorbei, damit Teresa auf Roberts Platz eine letzte Runde drehen konnte. Und als 96 Anfang des Jahres nach den sieben Niederlagen in Folge der erste Sieg gelungen war, rief Westphal noch aus der Kabine an: ,Teresa, wir denken auch an dich!?
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