Guten Abend allerseits,
jetzt will ich auch mal. Oft denke ich an ein Turnier zurück, was mich Hannover 96 noch näher brachte als ohnehin schon, obwohl es eher ein trauriger Anlass war. An diesem Tag passierten so viele außergewöhnliche Dinge, dass ich es einfach erzählen muss.
Am 20. Mai 1986 hatten wir ein Pfingstturnier im Eilenriedestadion, wo 32 Mannschaften dran teilnahmen, ich war damals 8 Jahre alt. Nicht nur deshalb war es ein besonderes Turnier, denn an diesem Tag war mein Opa dabei, dem es überhaupt nicht gut ging, aber das war ihm egal. Er sagte zu meinem Vater: „Mein kleiner Enkel spielt bei Hannover 96 Fußball, das finde ich großartig, außerdem habe ich ihn noch nie Fußball spielen sehen. Jetzt ist der große Tag gekommen, ihr Hallodris, also versucht erst gar nicht mich zu überreden.“ Hallodris sagte er ständig, das hat er natürlich nie ernst gemeint.
Auch wenn ich erst acht Jahre alt war, ich wusste welche Strapazen er da auf sich nimmt und für wen er das tat, das ging nicht spurlos an mir vorbei. Ich wollte ihn auf keinen Fall enttäuschen, was war ich nervös.
Leider kann ich nicht mehr sagen gegen wen wir in der Vorrunde gespielt haben. Kurzerhand, wir fegten sie alle vom Platz, es waren sehr deutliche Ergebnisse und ich spielte das Turnier meines Lebens. Oft blickte ich auf die Tribüne des Eilenriedestadions, wo mein Opa saß. Ich winkte und lächelte rüber, er winkte zurück und mein Vater hielt den Daumen hoch, alles Paletti soweit. Mein Opa wischte sich mit einem Taschentuch ständig die Tränen ab, man kann sich ja denken warum.
Ein paar Sekunden später streichelte mir jemand über den Kopf, ich drehte mich daraufhin um, es war mein Trainer. „Ich weiß, dass dein Opa heute zuschaut und das es ihm nicht gut geht, die ganze Mannschaft weiß das. Maurice will unbedingt, dass Du der Kapitän bist.“ „Wenn Maurice das will, dann mach ich das, murmelte ich mit schüchterner Stimme vor mich hin.“ Zugegebenermaßen war mir das nicht so wichtig, wer bei uns der Kapitän ist, jeder durfte mal ran. Aber ich war schon sehr gerührt, wie die Mannschaft darauf reagiert hat, mir kullerten die Tränen, was natürlich keiner sehen durfte. Also gut, ich machte die Kapitänsbinde um und drehte mich wieder um, mit der Kapitänsbinde winkt es sich halt besser. Diesen Gesichtsausdruck von meinem Opa werde ich das ganze Leben nicht vergessen, seine Augen waren total verschwommen, so herzlich und liebevoll konnten noch nicht mal Engel schauen.
Aufgrund der vielen Mannschaften kamen nur die Gruppenersten weiter. So kam es, dass wir im Viertelfinale gegen den VfB Stuttgart antreten mussten - auweia - aber unser Trainer hat schon die richtigen Worte gefunden. Der VfB Stuttgart war zu diesem Zeitpunkt das non plus ultra im Jugendfußball, einige spekulierten schon über die Höhe des Sieges, das war Motivation genug.
Um es kurz zu machen, wir gewannen dieses Spiel mit 4:1, sie konnten überhaupt nicht fassen, was da gerade passiert ist. „Der VfB Stuttgart nehme das sportlich“, sagte ihr Trainer. Große Worte, wie ich finde, wobei der Sieg eindeutig zu hoch ausfiel. Nach dem 4:1 betrat mein Opa den Rasen, er war ziemlich blass im Gesicht. Er sagte zu mir: „Mensch Junge, hätte ich vorher gewusst, dass Du soviel Talent hast, hätte ich es der ganzen Welt erzählt.“ „Höhö Opa, das geht doch gar nicht, erwiderte ich ihm.“ Er streichelte mir über meine Wange und verließ mit meinem Vater wieder den Platz. Ich hörte noch, wie er zu meinem Vater sagte: „4:1 gegen den VfB, hast Du das gesehen, da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt.“
Und das war nicht die einzige Sensation, denn es standen vier hannöversche Teams im Halbfinale, das hatte im Vorfeld wirklich niemand erwartet: Fortuna Sachsenross, Sportfreunde Ricklingen, FC Rethen und wir.
Im Halbfinale spielten wir gegen Fortuna Sachsenross, wir gewannen dieses Spiel mit 6:0. Im anderen Halbfinale spielte der FC Rethen gegen die Sportfreunde aus Ricklingen, der FC Rethen zog ins Finale ein, am Ende stand es 4:1. Da war es nun, das große Finale.
Als wir das Spielfeld betreten haben, schrie mein Opa von der Tribüne: „Holt euch den Pott Jungs, ihr habt es verdient.“
Ungelogen, in diesem Finale trafen wir viermal den Pfosten und 2x mal die Latte, es kam also wie es kommen musste. Auch ich habe eine 100% Torchance versiebt, ich brauchte den Ball nur ins rechte Toreck schieben, der Torwart lag auf dem Boden, aber ich zirkelte die Pille an die Latte. Am Ende stand es 0:0, es kam zum Achtmeterschießen.
Am Ende verloren wir das Achtmeterschießen mit 4:2, meinen habe ich mit viel Glück verwandelt, was mir hinterher aber völlig egal war. In diesem Moment brach eine Welt für mich zusammen, ich dachte wirklich, dass mein Opa jetzt total enttäuscht von mir ist, der Pott ging an den FC Rethen. Während die Mannschaft auf dem Platz blieb, ging ich in die Katakomben des Eilenriedestadions, ich nahm nur noch das Klappern der Stollen war, die Kabinentür war offen. Ich machte gleich die Tür zu und setzte mich auf die Bank, mir kamen die Tränen. Mein Opa musste das von der Tribüne aus gesehen haben, wie ich das Stadion verließ, denn 1min. später stand er vor der Tür.
„Mensch Jung, da brauchst Du doch nicht zu weinen, besser kann man nicht Fußball spielen.“ Er setzte sich nehmen mich und fügte hinzu: „Tja Jung, jetzt weiß ich gar nicht was ich sagen soll. Ach Scheiße, ey.“ „Aber jetzt sage ich dir mal was, was Du sicherlich nicht verstehen wirst. Irgendwann kommt der Tag, wo Du sagen wirst, dass es gut war, dass ihr dieses Spiel verloren habt.“ In der Tat, das habe ich nicht verstanden, aber ehrlich gesagt habe ich auch nicht lange über diese Worte nachgedacht.
Danach saßen wir einfach nur so da, während ich mit den Beinen hin und her wippte, mein Opa legte den Arm um mich. Ich weiß gar nicht, wie viel Zeit verging, wir saßen einfach nur so da. Irgendwann ging dann doch die Tür auf, es war mein Trainer. „André, wir suchen dich schon alle, die Siegerehrung steht an.“ „Ach Du Scheiße, die Siegerehrung, auch das noch, stammelte ich vor mich hin.“ „Los Junge, sei stark, sagte mein Opa.“ „Ich stehe erst auf, wenn mein Vater kommt, der muss dir helfen.“ „Ach André, dass mache ich, dein Opa wird die Siegerehrung nicht verpassen.“ Die Siegerehrung fand vor der Tribüne des Eilenriedestadions statt, wir guckten alle völlig enttäuscht auf den Boden, es flossen viele Tränen. Alle Mannschaften stellten sich in Reihe auf, was bildlich festgehalten wurde.
Im Stadion ging derweil das Gerücht um, dass einer einen Kollaps bekommen hat, es war ausgerechnet der, der die Rede halten sollte. Er war schon auf dem Weg ins Krankenhaus, zum Glück ging es ihm später wieder besser. Die Rede übernahm dann irgendein Verantwortlicher vom FC Rethen, was die Sache nicht leichter machte und es kam noch schlimmer. In dieser Rede lobte er ständig seine Mannschaft, dabei handelte er sich ein paar Pfiffe ein, die nicht nur aus unseren Reihen kamen. Irgendwann schrie einer: „Mensch, hier hat nicht nur der FC Rethen Fußball gespielt, überreich endlich die Pokale, das war heute ein wunderschönes Turnier.“ Es applaudierten ihm alle und das nicht zu knapp, dann ergriff der Trainer des FC Rethen das Wort: „Ja Reiner, so ist das, überreich endlich die Pokale und stell das Mikro ab.“
Nun denn, die Pokalübergabe stand an. Der die Rede gehalten hat, hatte die blöde Angewohnheit, jedes Kind in den Arm zu nehmen, damit wollte er wohl einiges retten und zeigen, dass er doch eigentlich ein feiner Kerl ist. Irgendwann wurde ich aufgerufen, um den Pokal abzuholen, das machten die Kapitäne der jeweiligen Mannschaften. Ich ging die Treppen hoch und da kam er mir entgegen, der Reiner. Er streckte die Arme aus und ich ging einen Schritt zurück. „Hör mal, wenn Du mich jetzt in den Arm nimmst, dann trete ich dir auf den Fuß.“ Großes Gelächter im Stadion.
In diesem Moment dachte ich, die lachen alle über mich, weil wir nur Zweiter geworden sind, da war der Tag für mich erst recht gelaufen. Ich ging wieder die Treppen runter und sagte zu meiner Mannschaft: „Wir bedanken uns für das schöne Turnier mit einem dreifachen Hipp, Hipp, Hurra, Hipp, Hipp, Hurra, Hipp, Hipp, Hurra.“ Die Kapitänsbinde habe ich anschließend unseren Torwart gegeben, ich hatte die Schnauze voll gehabt.
Am Ende ging der Trainer vom FC Rethen die Treppen hoch, sein Kapitän lief ihm hinterher: „Reiner, gib mir mal das Mikro.“ „Wir vom FC Rethen wissen, dass wir im Finale einfach nur Glück hatten, hier wird tolle Jugendarbeit geleistet. Es war so ein wunderbares Turnier, was wohl keiner so schnell vergessen wird, das war großer Sport.“ Es wurde ihm minutenlang applaudiert, aber trösten konnte uns trotzdem keiner.
Heute weiß ich aber, was mein Opa gemeint hat. Es war gut, dass wir dieses Spiel verloren haben, es war eine "tolle Erfahrung". Fabian Ernst war auch dabei, dieses Turnier war für ihn sicherlich sehr lehrreich. Meine Karriere musste ich leider verletzungsbedingt beenden, die bis dato ganz erfolgreich verlief, shit happens. Schade, dass mein Opa das nicht mehr miterleben durfte, aber er hat von oben sicherlich zugeschaut. Mit Senfgurken und Leberwurstbrot von Oma...
_________________ Paso del Sapo (Krötenpass)...
Zuletzt geändert von AndréMeistro am 27.12.2013 15:01, insgesamt 5-mal geändert.
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