El Filigrano hat geschrieben:
@watcher
Nun geht es allerdings entscheidend darum, wie ein System interpretiert wird. Und das ist wesentlich auch eine Trainerfrage. Man kann ja mit derselben Grundformation um den 16er herum Schützengräben ausbuddeln oder man versucht – anderes Extrem – den Gegner schon beim Spielaufbau zu pressen..
Deine Kardinal-Fehleinschätzung Nummer Eins: Niemand will Schützengräben, auch Lienen nicht. Dieser Trainer hat eine Mannschaft gestellt, die auf extrem clevere Weise den HSV in der AOL-Arena an die Wand gespielt hat. Hat eine Goldene Serie hingelegt mit einer Grundordnung, die den Bochumer Keeper hat sagen lassen, "wir hatten keine Chance, Hannover hat mit uns Katz und Maus gespielt."
Das ist das, was er will. Und die Mannschaft auch. Nur geht das eben nicht jedes Wochenende, weil Fußball eine Sache ist, die mit Menschen gespielt wird und nicht am Reißbrett mit Statistikwerten. Und mit diesem Kader nur, wenn er am Limit spielt.
Zitat:
Mein Eindruck seit der nicht gerade gnadenreichen Vorweihnachtszeit ist, dass mit der Bunkernummer nix zu ernten ist. Wir schießen keine Tore, kriegen aber welche. Stabilisierung und Selbstbewusstsein können so jedenfalls nicht erreicht werden. Das läuft jetzt schon sieben Spieltage so, dieses Gebolze in Freiburg war nur ein weiterer Höhepunkt in einer schon bedenklich langen Reihe. Wenigstens minimale Fortschritte? Fehlanzeige. Im Gegenteil, der Negativtrend verfestigt sich.
Woraus deine Kardinal-Fehleinschätzung Nummer zwei resultiert: Eine schlicht unerfüllbare Erwartungshaltung. Gegen Stuttgart haben wir endlich mal einen Punkt geholt, waren sogar gefühlte zehn Prozent besser. Gegen Hertha waren wir besser und sind um ein Remis betrogen worden.
Und ab Stuttgart zeigte sich klar die Folge des Spielens am Limit: Da war jeder dritte Spieler auf dem Platz am Ende seiner Kräfte. Dem Silvio Schröter hast du es direkt im Gesicht angesehen. Und nach einer solcher Hinrunde, mit einer solchen Serie mit diesem Kraftaufwand, erwartest du noch Fortschritte in den letzten beiden Spielen vor dem Winter, die du mit in diese Kette stellst? Mach Cyborgs aus den Jungs und setz' ihnen Atom getriebene Akkus ein - dann geht zu einem solchen Zeitpunkt vielleicht noch was.
Gegen Leverkusen haben sich die Roten ob ihrer eigenen Erwartungshaltung selbst geschlagen und sind gegen das beste Team, das ich in dieser Saison in der AWD-Arena erlebt habe, eingegangen. Mit einer sehr offensiven Grundhaltung, von wegen Bunker.
Bielefeld? Ein 1:0-Auswärtssieg ist Teil einer bedenklich langen Kette?
Dortmund: Derselbe Fehler wie gegen Leverkusen, aber immerhin eine Halbzeit lang mit aller Macht alles versucht und ein Kontertor gefangen, bei dem der Ricken schon alles richtig machen musste, um SO zu treffen. Davor hat jeder im Stadion gerochen: Fällt der Anschlusstreffer, fällt Dortmund. War aber leider nicht so.
Freiburg? Ein Mittelfeldproblem aus besagten Gründen. Wäre nur jeder zweite Pass angekommen, verwette ich sonstwas dafür, dass 96 mit zwei Sieg-Toren Differenz nach Hause gefahren wäre. Dass die Mannschaft reingedrängt wurde und insgesamt zu tief stand, lag doch wohl daran, dass das Mittelfeld jede Chance zur Entlastung vertöffelt hat. Das Spiel hat nur eines gezeigt: Die Verunsicherung der Roten. Das ist für mich mit normalen Maßstäben nicht zu messen.
Zitat:
A propos Selbstbewusstsein. Ich halte es für einen kardinalen Fehler – und das geht nun wirklich ganz allein auf die Trainerkappe – der Mannschaft immer noch einzureden und sie so einzustellen, als ginge es gegen den Abstieg. Wer soll denn das ernsthaft glauben? Die Wirklichkeitswahrnehmung der Spieler wird da schon auf eine sehr harte Probe gestellt. Wie dem auch sei, jedenfalls wird auf diese Weise auch ne Mischung angerührt. Nämlich eine aus verkrampften Gezackel und blutleeren Alibiaktionen..
Redet er der Mannschaft das ein, oder redet er in Öffentlichkeit so, damit die hannoversche Überfliegermentalität nicht zur schmerzhaften Bauchlandung führt? Wissen wir, was er der Mannschaft sagt? Ich weiß es nicht. Sollte er das tun, hielte auch ich es für einen Fehler.
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Warum also wird nicht gesagt: Hey, wir probieren es mal, wahrscheinlich schaffen wir es nicht, aber die Chance ist da und wir wollen mit aller power nach Europa. Und wenn es denn tatsächlich nicht klappen sollte – gäbe es Anlass für Mecker? Nein, natürlich nicht. Aber jede Menge Lob & Hudel für eine geile Saison..
Weil es nach dem Konzept der Vorrunde keinen Anlass gibt, eben dieses Konzept zu ändern. 28 Punkte, errungen durch eine gute Grundordnung, eine gesunde Mischung aus guter Defensive, einem cleveren Aufbauspiel und brandgefährlichen Kontern, mit denen sich 96 in der ganzen Liga Respekt erworben hat.
Am Ende hat der die Nase vorn, der die kontinuierlichste Leistung zeigt. Und dafür ist es noch lange nicht zu spät, denn immerhin hat 96 jetzt schon 3 Punkte mehr als zum gleichen Zeitpunkt der Hinrunde.
"Volle Power" ist dein Wunschdenken, okay, hätte ich prinzipiell auch nichts gegen - nur mit diesem Kader geht das nicht, das kann er nämlich nicht. Also sollte er das auch nicht müssen.
Und nun frag' dich mal selbst, ob du nicht krass falsch liegst: Bei voller Power aber ebensolchem powerfullen Scheitern gibt es hier Lob und Hudel am Ende der Saison?
Ich will nicht über Prozente streiten. Einigen wir uns auf 50 Prozent - die sehen darin keinen Grund zum Loben und Hudeln. Dazu gehöre ich. Ich gehe gern mit einem Sieg nach Hause, und - Hallelujah! - ich habe wahrlich eine Menge erstklassige Partien von meinem Lieblingsteam in der Hinrunde gesehen. Ich bin zufrieden damit, vor allem, weil es bis zur Winterpause viel mehr war, als man erwarten durfte.
Zitat:
Gegen Werder wird es so laufen: Vorsichtig, abwartendes (vielleicht sogar ängstliches) Verharren im doppelwandigen Bunker. Die Bremer gucken sich das locker an und uns aus. Irgendwann Bumms 0:1 und danach werden wir in aller Gemütsruhe abgefiedelt. Hoffentlich irre ich mich. Amen.
Das hat auch jemand vor dem Spiel beim HSV gesagt. Der hat einen ganz deftigen Kommentar um die Ohren bekommen, sinngemäß: Wenn du keine Nerven hast, dann bleib zu Hause! Derjenige möge das doch hier bitte examplarisch wiederholen.
Ich gehe am Sonnabend ins Stadion und erwarte ein beherztes Spiel meiner Roten. Ich erwarte, dass sie fighten. Und weil ich es mir abgewöhnt habe, mit Erwartungshaltungen in die Arena zu gehen, würde ich mich allein erstmal über eine erkennbar engagierte Leistung von 96 freuen. Und wenn dann 1 oder 3 Punkte gegen den amtierenden deutschen Meister heraus kommen, rege ich an, dass alle Unken freiwillig in den Teich springen und in größter Tiefe im Chor blubbern: Ich habe meiner Mannschaft nichts zugetraut.
Ich traue ihr alles zu. Wenn sie nur will und sich am Riemen reißt.