OH96, ich hoffe du hast deine Herztabletten heute genommen. Denn du wirst es nicht glauben, aber in den meisten Punkten deines obigen Beitrags stimme ich dir vollauf zu, was ich auch gerne erläutere. (Wie gesagt, denk an die Herztabletten!)
OH96 hat geschrieben:
Allerdings erklärt mir das alles noch immer nicht, wie man bei den beiden Spielen schweigend sitzen bleiben konnte, wenn man doch angeblich seine Mannschaft immer so grandios unterstützt.
Ich kann versuchen, es dir zu erklären. Ich behaupte mal, jedem einzelnen, ob Ultra oder nicht, ist es sehr schwer gefallen, nicht wie gewohnt die Mannschaft anzufeuern. Man kann das aus zwei verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Der erste ist der von dir genannte, du verstehst nicht, weshalb man auf einmal die Mannschaft und den Verein im Stich lassen kann. Zugegeben, das klingt tatsächlich erst einmal paradox. Man kann es aber auch von der Seite aus betrachten, dass man anhand dieser Art des Protestes sehen kann, wie wichtig dem RK-Block diese Sache ist, wenn man zu solch aus Fansicht drastischen Mitteln des Suppoert-Boykotts greift.
Ich kann nicht für alle sprechen, nur für mich und das, was ich in meiner Umgebung im Block mitbekommen habe. Es wurde applaudiert, es wurde geflucht, es wurde beispielsweise bei Sprintduellen angefeuert, wenn auch nicht rhythmisch. Der Torjubel war wie jeder andere auch, ausgelassen. Geht auch gar nicht anders, man kann die Emotionen nicht komplett herunter schlucken. Wie ich das von oben halbwegs sehen konnte, ging es auch den Ultras nicht viel anders, denn auch da war der Torjubel ausgelassen. Ich weiß nicht, wieso vereinzelt behauptet wird, die wären einfach sitzen geblieben. Das stimmt einfach nicht.
Ich habe es in einem anderen Beitrag schonmal erläutert, man hat als Fanblock doch überhaupt keine Möglichkeit, um auf seine Probleme, so subjektiv sie erstmal erscheinen mögen, aufmerksam zu machen. Spruchbänder und Plakate, selbst ein Flyer zur Aufklärung wurden verboten. Das ist übrigens auch der Grund, warum der Begriff "Meinungsfreiheit" irgendwann inflationär die Runde machte. Dabei ging es gar nicht um die Fahne, sondern um ganz andere Sachen, wo die Fans quasi mundtot gemacht wurden.
Demonstrieren außerhalb des Stadions hätte keinen Effekt gehabt. Erstens hätte es keinen interessiert und zweitens wäre das Eskalationsrisiko zu groß gewesen. Man trifft sich vor der Geschäftsstelle, Polizei rückt an, es gibt Platzverweise, die mit Gewalt durchgesetzt werden, in den Medien ist vor "ultra brutalen Brutalo-Ultras" die Rede, die nichtmal mehr davor zurückschrecken, den Präsidenten in der Geschäftsstelle aufzulauern. Dann doch lieber so, wie es jetzt praktiziert wurde. Man kann von dem Boykott halten was man will, aber er scheint seine Wirkung nicht verfehlt zu haben. Ich persönlich glaube auch, dass es die meisten Leute auf die Palme bringt, dass sich der Fanblock einfach mal null hat zu Schulden kommen lassen, sprich, man kann ihm nicht ans Bein pinkeln, wie man es beispielsweise bei Ausschreitungen könnte. Aber wie gesagt, das ist meine persönliche Meinung.
OH96 hat geschrieben:
Aber - und damit auch zum Thema "Privilegien" - solange die Lautsprecheranlage der Ultras/aktiven Fanszene/wie auch immer die Gruppe genannt werden will in der Nordkurve so laut ist wie sie ist, dann trägt diese Gruppe auch eine Verantwortung.
Verantwortung ja, Pflicht nein. Ich stimme dir zu, man kann nicht jahrelang der Stimmungsgeber der Kurve sein und auf einmal sagen "Jetzt seid ihr dran". Wie oben aber geschrieben, gab es keine Alternative zu dem Vorgehen.
OH96 hat geschrieben:
Für mich gäbe es eine relativ einfache Lösung: Anlage abschalten, oder zumindest mal wieder leiser drehen. Dann ist die Gruppierung in der Nord nicht mehr ganz so dominant sondern wird wieder zu einem normalen Bestandteil der Fans, und nicht eine herausgehobene Sondergruppierung.
Herztabletten genommen? Denn auch hier gebe ich dir Recht. Ich habe ganz ernsthaft neulich schonmal überlegt, etwas ähnliches zu schreiben, bezüglich der Zukunft des Blocks. Mir geht diese Dauerbeschallung teilweise auch ziemlich auf den Senkel. Manchmal ist die Verwendung der Anlage durchaus angebracht, teilweise überflüssig, teilweise kontraproduktiv.
Mein persönlicher Vorschlag wäre, es mal mit einem Minimum an Beschallung zu probieren. Einfach mal warten und schauen, was passiert, mal schauen, ob vielleicht aus anderen Bereichen der Kurve etwas kommt. Wenn ja, einfach mal mit einstimmen, ohne Aufforderung aus der Flüstertüte, einfach mitschreien. Nach 2-3 Spielen hat sich das bestimmt super eingependelt. Und wenn dann von irgendwoher versucht wird, ein Wechselgesang anzustimmen, dann kann man immer noch kurz das Mikro in die Hand nehmen und sagen "Leute, Wechselgesant mit der West. Eins, zwei, drei...". Und bitte ohne großartige Erklärung, mittlerweile braucht niemand mehr eine Anleitung, dass man bei drei möglichst laut "Hannover" schreien soll. Allgemein finde ich die Tonlage des Capos ziemlich problematisch, da er ziemlich fordernd ist. Ich mag es einfach nicht, angeschrien zu werden. Das wird vielen in der Nord so gehen, weshalb sie prinzipiell selten bis gar nicht einstimmen, wenn etwas "gefordert" wird. Ich werde mal versuchen, mich persönlich mit ihm zu unterhalten, damit es nicht heißt "Du pupst nur im Forum rum und kriegst im Zwinger die Zähne nicht auseinander".
Ich wünsche mir, dass die jetzige Situation als Chance gesehen und genutzt wird, dass die ganze Kurve in Zukunft wieder mehr zusammen hält. Ultras als Teil der Kurve, nicht als Kopf. Dazu gehört, dass die Ultras einen Schritt auf die Kurve macht, dazu gehört aber auch, dass die Kurve mal mit ihrer Anti-Ultra-Stimmung aufhört. Gerade bei letzterem sehe ich die Probleme, aber noch nicht komplett schwarz. Schön wäre es echt, wenn
alle sich zusammen reißen und die anderen Mentalitäten in der Kurve und im Stadion akzeptieren und respektieren. Das ist das, was ich unter Toleranz verstehe. Davon mal ab: Eine anarchische Kurve ist nach wie vor mein Traum.
OH96 hat geschrieben:
Da ist halt die Frage, welche Form von Stimmung man im Stadion haben möchte. Ich persönlich brauche keinen Dauergesang, und ich brauche auch keine regelmäßigen Choreos (wie es in einem anderen, vorhergegangenen Beitrag mal als Ideal geschildert wurde). Choreos sind super, aber auch sie nutzen sich ab, wenn es sie zu häufig gibt. Ich wünsche mir ein Stadion, in dem jeder ist wie er ist.
Ok OH96, wenn du deine Herztabletten bis jetzt noch nicht genommen hast, dann kann ich dir auch nicht mehr helfen. Denn auch hier komme ich nicht umher, dir zuzustimmen. Dauergesänge mag ich nur, wenn sie laut sind. Alles andere wurde von einem Spieler in einem Interview mit einem ehemaligen Fußballfachmagazin als "Staubsauger" bezeichnet. Dann lieber mal eine Minute Ruhe im Block und danach mit brachialer Lautstärke "HSV" rufen. Auch mit den Choreos gebe ich dir im Allgemeinen recht, die nutzen sich ab. Allerdings sehe ich das bei uns bei weitem nicht. Den letzten zitierten Satz müsste man in Stein meißeln, und zwar in der Wand gegenüber von Kinds Bürotür.
yeswecan hat geschrieben:
Aber es gibt auch die Schattenseite der "Fanszene" , welche in Deinem Beitrag leider keine Beachtung findet, sie ist aber da.
Das stimmt so nicht. Wenn du meinen Beitrag nochmal liest, wirst du irgendwo auf eine Stelle stoßen, wo ich schreibe, dass in und um die Stadien genug Scheiße passiert. Damit meine ich Verfehlungen von Fans, ganz klar. Auch mir gehen versiffte Züge auf den Sack, deshalb fahre ich auch mit dem WET nicht mehr zu Auswärtsspielen.
Ich schrieb bereits irgendwie, irgendwo, irgendwann einmal, dass dies auch nicht verharmlost werden dürfe. Nur ist das Gewaltproblem, wie es seit Monaten und Jahren propagiert wird, nicht existent. Gewalt gibt es, aber nicht in diesem Ausmaße. Die Gewalt nimmt ab, die Verletzten nehmen ab, die Polizeistunden nehmen ab. Es wird also besser. Wieso analysiert man nicht, warum das besser wird, setzt dort an und arbeitet weiter? Wieso jetzt dieser Rundumschlag?
Strafen taugen in meinen Augen nur bedingt als Abschreckung im Sinne der Prävention. Strafen sind dafür da, wenn irgendetwas bereits passiert ist, wenn es also zu spät ist. Unabhängig vom Fußball, das gilt für mich in allen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens: Ziel sollte es immer sein, eine Straftat zu verhindern, indem man Präventionsarbeit leistet. Das ist schwierig und kostet viel Zeit. Die Vergangenheit hat aber gezeigt, dass sich diese Zeit und Geduld lohnt.
Das Problem ist aber, dass Zeitungen damit keine Auflagen erhöhen und Politiker damit keine Wahl gewinnen. Aktionismus kommt beim B***-Leser dieser Tage besser an als vernünftige pädagogische Arbeit. Das ist nicht nur nervig, es führt auch dazu, dass positive Ergebnisse wieder zunichte gemacht werden. Um mal wieder ins Stadion zurückzukommen: Die Fanprojekte haben jahrelang gute Arbeit geleistet und können Erfolge verbuchen, die sich in Zahlen messen lassen. Warum macht man da nicht einfach weiter, sondern reißt mit der Brechstange alles wieder ein? Ich verstehe es nicht.
yeswecan hat geschrieben:
Der Forderungskatalog des DFB/ DFL macht mir auch Angst, da verändert sich richtig was, da geht viel verloren.
Andererseits, warum braucht man zu Fußballspielen jedes Wochenende tausende Polizisten und Ordner?
Gute Frage. Ich habe aber auch eine: Brauchen wir die wirklich? Klar, ganz ohne geht es nicht, da mache auch ich mir keine Illusionen. Aber brauchen wir sie wirklich in diesem Ausmaße? Gerade Ordner werden doch nur noch dafür gebraucht, um zu verhindern, dass sich die Leute Essen und Trinken mit ins Stadion nehmen und nicht mehr das überteuerte Catering in Anspruch nehmen, und um die Treppen der Stehplätze freizuhalten. Denn wer wirklich etwas gefährliches mit ins Stadion nehmen will, kriegt das auch irgendwie mit rein.
Mal davon ab, dass die Gesamtstunden der Polizei abnimmt (finde gerade keine belastbare Quelle), haben doch zuletzt die Auswärtsspiele in Kopenhagen und Breslau (dazu noch das der
Dortmunder in Manchester, sehr lesenswerter Bericht) gezeigt, dass weniger Polizei manchmal mehr ist. Es wird immer Fans geben, die sich daneben benehmen, von daher ist es auch in Ordnung, wenn sich die Polizei irgendwo im Hintergrund bereit hält, aber man muss nicht einen ganzen Mob mit Helmen und Knüppeln in einen Kessel stecken.
Kuhburger hat geschrieben:
Bitte stellt Euch mal folgendes vor:
Du bist Veranstalter der Love Parade (Ihr wißt schon welche) gewesen: Könntest Du heute noch ruhig schlafen? Ich jedenfalls nicht. Daher sind die Überlegungen der "Gegenseite" eigentlich nicht unter dem Blickwinkel "Repression" oder "Vernichtung von Fankultur" zu sehen... das ist mE ein grundlegender Irrtum in der Fanszene. Es ist tatsächlich der Sicherheitsaspekt, der die Handelnden - so auch unseren Maddin - umtreibt. Letztlich trägt Maddin die Verantwortung für alles, was im Stadion passiert. Wenn Menschen zu Schaden kommen belastet das sein Gewissen und daher wird er alles tun, was ihn weiterhin ruhig schlafen läßt. Dies nicht zu sehen heißt, seinen Gesprächspartner nicht zu verstehen und seine Aktionen falsch einzuschätzen... wollte ich nur mal dran erinnern.
Kuhburger, ich kann deine Argumentation zwar nachvollziehen, verstehe deinen Beitrag insgesamt aber nicht. Zu obigem Zitat: Glaubst du das im Ernst? Ich habe schon mehrfach das Beispiel des Heimspiels gegen Bayern in der vergangenen Saison in den Raum geschmissen, wo behelmte Polizisten mit Pfefferspray voran in den vollbesetzten Fanblock marschiert sind, wobei ein Fan beinahe über die Brüstung gestürzt wäre. Steht nicht allein diese Szene vollkommen im Gegensatz zu der von dir genannten angeblichen Absicht Kinds? Wenn die Sicherheit oberste Priorität hat, dann hätte dieser Vorfall niemals passieren dürfen. Martin Kind hat sich bis heute nicht von diesem Polizeieinsatz distanziert, was er aber deiner Argumantation hätte tun müssen. Und das ist das verlogene daran: Dass solche Einsätze mit dem Schlagwort "Sicherheit" legitimiert werden. Richtigerweise hätte man sagen müssen "Wir wollen mit aller Gewalt zeigen, wer hier das Sagen hat, die Sicherheit kommt dann an zweiter Stelle oder so", aber nicht "Wir wollten nur für Sicherheit sorgen". Mit Gewalt, egal von wem sie ausgeht, sorgt man nicht für Sicherheit.
Allgemein scheinst du mich in deinem Beitrag zu sehr auf Pyrotechnik und deren vermeintlichen Folgen konzentriert zu haben. Das ist sicherlich nicht verkehrt, geht hier aber vollkommen am Thema vorbei. Eine Haarmann-Fahne ist kein Sicherheitsrisiko. Ein Flyer zur Aufkärung der aktuellen Verhaltensweise des Fanblocks ist kein Sicherheitsrisiko. Eine Choreographie, in dem der AWD kritisiert wird, ist kein Sicherheitsrisiko.
Es soll in Zukunft versucht werden, noch mehr Geld aus dem Fußball herauszupressen und die Fanbelange stehen dem entgegen, außerdem soll der Einfluss und die Macht der DFL und des DFB weiter ausgebaut werden, TCHammer96 bezeichnete dies treffend als "Diktatur im Staat". Nun wird unter dem Deckmantel der Sicherheit im Stadion versucht, gegen die Fans vorzugehen, die dem Verein nicht das Geld bringen, was es brave Fußballkonsumenten bringen würden. Dass diese Fans den Verein und den Fußball erst zu dem gemacht haben, was er heute ist (gilt nicht nur für Hannover 96), spielt dabei keine Rolle mehr. Und der brave deutsche Wutbürger nickt alles ab, was ihm von den Strippenziehern der DFL über die Medien mitgeteilt wird, ohne nur einmal das Gehirn anzuschalten und zu hinterfragen, ob das wirklich alles stimmt, was einem da erzählt wird.
Frag Martin Kind doch mal, ob er dabei ruhig schlafen kann. Er wird es sicher, er ist schließlich Geschäftsmann. Ich als Fan kann es nicht mehr.